Ein Dorf für Softies – Sanfter Winterurlaub in Niederthai
Sanfter Wintersport war schon vor Corona als nachhaltige Urlaubsform in aller Munde. Dass sich dabei Abstandsregeln viel leichter einhalten lassen als im Skizirkus, macht ihn jetzt doppelt interessant. Das kleine Niederthai ist bestens auf Langläufer, Tourengeher und Rodler eingestellt. Allerdings fällt es aktuell unter die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Tirol.
Die Berge werfen noch lange Schatten, und die Luft ist eisig, als wir uns mit unserer Leihausrüstung vor dem Skigeschäft von Niederthai versammeln. „Wir“, das ist ein Grüppchen mit unterschiedlichem Kenntnisstand – vom absoluten Neuling über Teilnehmer mit Alpinski-Hintergrund bis zu Gelegenheitslangläufern, die ihre Technik verbessern wollen.
Eine heterogene, aber trotzdem ideale Konstellation für Michael Leiter, der uns heute einen Schnupperkurs gibt. Denn der Diplom-Langlauflehrer und Wanderguide will alle Zielgruppen vom Reiz des Loipensports überzeugen. Dazu starten wir zunächst einmal nicht in selbiger, sondern ziehen zum Aufwärmen Kreise und Achter im ungespurten Schnee. Bei dieser Übung sollen wir auch ein Gefühl für den leichten Ski und das wichtige Gleichgewicht bekommen, erklärt uns Michael.
Als Nächstes wechseln wir auf die sogenannten Schwedengatter – mehrere kurze Loipen nebeneinander, die gerade und flach verlaufen. Hier lässt sich der Grundschritt optimal üben. „Die Grundbewegung ist dem Gehen beim Skitouring mit gegengleichen Stockbewegungen sehr ähnlich“, erläutert Michael. „Hinzu kommt beim Langlaufen aber die Gleitphase.“ Und die erweist sich als nicht ganz einfacher Balanceakt: Während der vordere belastete Ski gleitet, wird der hintere angehoben, um die Dynamik der Bewegung zu verstärken. Dann heißt es Aufkommen mit der Ferse und die gegengleiche Bewegung ausführen. Ganz schön kompliziert!
Genusslauf statt Technikkür
Als wir zur Sonnenplateau-Loipe wechseln, bemerkt Michael denn auch tröstlich: „Von den Läufern hier führen etwa 15 Prozent die Bewegung korrekt aus.“ Auch für uns geht es jetzt nicht um eine verkrampfte Technikkür, sondern darum, das Erlernte auszuprobieren und die Bewegung in der traumhaften Winterlandschaft zu genießen. Inzwischen steht die Sonne höher am Himmel und bringt die Schneekristalle zum Glitzern.
Die Sonnenplateau-Loipe ist das Herzstück des Ötztaler Langlaufzentrums in Niederthai, das mit dem Tiroler Loipen-Gütesiegel ausgezeichnet wurde. Die drei Kilometer lange blaue – also leichte – Hauptrunde kann mit drei schwierigeren Extra-Schleifen kombiniert werden. Auch wir nutzen sie, um die von vielen Langläufern gefürchtete Abfahrt zu üben. „Die Rückenlage ist unser größter Feind“, warnt Michael Leiter und schärft uns ein, in die Knie zu gehen, den Oberkörper nach vorne zu beugen und die Stöcke am Körper zu halten. „Wichtig ist es, vorausschauend und kräftesparend zu fahren sowie die richtige Technik am richtigen Punkt einzusetzen“, erläutert unser Langlauflehrer. Um den Schwung aus der Abfahrt mitzunehmen, empfiehlt sich etwa der Doppelstockschub, bei dem sich der Läufer in Kniehaltung mit den Stöcken auf Bindungshöhe abstößt, den Oberkörper vorbeugt und die Stöcke bis zu den Hüften nach hinten schwingt.
Insgesamt 31 Loipen- und Routenkilometer erwarten Anhänger der nordischen Disziplinen auf schneesicherer Höhenlage von 1550 Meter in Niederthai. „Wir sind uns bewusst, dass wir größenmäßig nicht mit Seefeld oder Leutasch konkurrieren können“, sagt Michael Leiter. „Doch wir haben andere Stärken.“ In der Tat. Denn das Loipennetz in dem 400-Einwohner-Dorf ist nicht nur für jeden kostenlos nutzbar, sondern dank der Hochplateau-Lage auch sonnenverwöhnt. Hinzu kommt die Kombination mit einem kleinen Skigebiet in unmittelbarer Nähe. Ohne ein Auto zu bewegen, können so Erwachsene in der Loipe trainieren und Kinder Ski fahren, rodeln oder auf dem Schneespielplatz den Rutschhügel hinuntersausen. Raumgreifende Infrastruktur wie in anderen Skizentren Fehlanzeige – stattdessen schauen Pferde am Pistenrand über den Koppelzaun, Bänke laden zum Verweilen ein, und auf der Sonnenterrasse des Gasthofs Tauferberg wird eine „Loipenmilch” serviert.
Winterurlaub à la carte
Überschaubar sind in Niederthai auch die Preise – dank der 2019 eingeführten Gästekarte, die in den teilnehmenden Unterkünften gratis ausgegeben wird. Mit ihr ist der Langlauf-, auf Wunsch auch Skating-Schnupperkurs ebenso kostenlos wie die Nutzung der drei Skilifte mit ihren vier Pistenkilometern. Etliche weitere Erlebnisse, die meist den Fokus auf Nachhaltigkeit legen, sind inklusive.
Zum Beispiel eine Schneeschuhtour auf der Tauferbergrunde. Dank der Ortskenntnis unseres Guides Vitus Auer, der mit Anfang 20 der jüngste Bergführer Österreichs war, marschieren wir mit den Fellen nicht nur auf Waldwegen, sondern auch „offroad“. Dabei genießen wir es, kein Ausrutschen auf Schnee oder Eis fürchten zu müssen und den Blick für die schönen Aussichten frei zu haben. Ziel unserer zweistündigen Tour ist das Wiesele, eine am Nachmittag in Sonne getauchte Lichtung.
Auf der Biathlon-Anlage von Niederthai können Card-Inhaber ein Schnuppertraining absolvieren. Immer donnerstags und sonntags von 13 bis 15 Uhr erwarten Gerd Leiter und Kollegen in der Wintersaison die Gäste und zeigen ihnen die Bedienung des Lasergewehrs. Je nach Wunsch kann im Stehen oder Liegen, mit kleiner oder großer Zielscheibe geübt werden. Auch seine Strafrunden darf jeder ganz realitätsgetreu absolvieren – schließlich liegt die Sonnenplateau-Loipe direkt vor der Nase.
Ein Angebot, das allen Gästen offensteht, sind Winterspaziergänge rund um den Ort. In rund 50 Minuten geht es etwa zur Larstigalm. Der leicht ansteigende Weg führt immer am wild rauschenden Horlachbach entlang. Schneebedeckte Gesteinsbrocken und Bäume flankieren ihn bis zu einer kleinen Kapelle, hinter der die Alm liegt. Hier wärmen wir uns bei Suppe, Strudel und dem obligatorischen Schnapserl auf, bevor die Rückfahrt ansteht. Für die stellt der Wirt gegen eine Gebühr von drei Euro Schlitten zur Verfügung. Und so düsen wir die dreieinhalb Kilometer nach Niederthai auf Rodeln hinab. Der Fahrtwind lässt die Augen tränen, der Schnee staubt uns ins Gesicht, und wir fühlen uns wieder wie Kinder. Unten am Rodeldepot der Larstigalm trennen wir uns nur ungern von dem nostalgischen Transportmittel.
Nachhaltige Produktionskette
Abends stehen wir bei einem Ötztaler Berg-Gin mit Gastgeberin Steffi an der Bar des Falknerhofs. Sie stammt aus Saarlouis, ist aber seit 20 Jahren begeisterte Niederthaierin. Nicht umsonst bewerben sie und ihr Mann Peter die 45 Zimmer in der größten Unterkunft des Ortes mit dem Zusatz „Am Ursprung“.
„Niederthai ist ein besonderes Platzl“, sagt Steffi mit schon hörbarer Tiroler Dialektfärbung, „und wir freuen uns über jeden, der es mit uns teilt.” Landflucht gebe es hier keine, dafür ein Leben im Rhythmus der Natur mit einer verträglichen Zahl an Touristen. Die typische Unterkunftsart sind mittlere bis kleine Betriebe im Ort, von denen aus die Gäste meist problemlos zu Fuß in ihre Tagesaktivitäten starten können. Auch die intakte Landwirtschaft und den Einsatz lokaler Produkte hebt Steffi hervor. Ein Beispiel dafür halten wir mit dem selbst gebrauten Berg-Gin mit Blutwurz und Granten (Preiselbeeren) gerade in der Hand.
Gern schenken die Falkners auch das Bier aus dem wenige hundert Meter entfernten Ötztaler Brauhaus aus. Der gebürtige Elsässer Yannick Allombert hat vor zehn Jahren den alten Gasthof übernommen und zunächst mit einem selbstgebauten Sudkessel herumexperimentiert. Seine Idee: „Ich wollte wie die Mönche nach altem Handwerk brauen, mich dabei aber von moderner Computertechnik unterstützen lassen, um die einzelnen Produktionsphasen optimal zu steuern.“
Dementsprechend ähnelt seine Bar, über welcher der Sudkessel aufragt, dem Cockpit eines Raumschiffs, während im Keller die klassischen Stationen des Gärungsprozesses zu besichtigen sind. Yannick, der in seinem Brauerei-Gasthof selbst kocht und bedient, schafft es irgendwie auch noch, Gäste durch die Anlage zu führen. Stolz ist der Tausendsassa mit Lederweste und Baskenmütze auf seinen Absatz von inzwischen 300000 Litern pro Jahr und eine Falstaff-Auszeichnung für sein Weißbier „Die Gnädige“. Zugute kommt ihm die Tatsache, dass in Niederthai höhenbedingt kein Erhitzen der Maische auf 100 Grad möglich ist. „Durch das deshalb nötige längere Kochen entstehen die Rauch- und Röstaromen, die mein Bier so typisch machen“, erklärt er.
Inzwischen hat sich der Franzose, der schon Küchenchef im Badetempel Aqua Dome in Lengenfeld war, längst einen neuen Sudkessel gegönnt. Angefertigt hat ihn Günther Falkner, dessen urige Schauschmiede am Horlachbach zu den Ausflugszielen des Niederthai-Card-Programms gehört. Doch das ist eine andere Geschichte, die der Schmied in dritter Generation gern bei einer Führung durch seine Werkstatt erzählt.
ARCD-Reiseservice
- Covid-19-Lage:
Für Tirol gilt zurzeit eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Reisen dorthin sind damit nicht verboten, ziehen aber bei Rückkehr die Verpflichtung zu Quarantäne und einem PCR-Test nach sich. Detaillierte tagesaktuelle Infos zu den Ein- und Ausreisebestimmungen sowie zur Lage in Österreich finden Sie unter www.auswaertiges-amt.de. - Anfahrt: Pkw: über die A 12 bis zur Ausfahrt Haiming-Ötztal, dann über die Ötztal-Bundesstraße bis Niederthai; Bahn: über München und Innsbruck nach Ötztal Bahnhof, von hier weiter per Linienbus oder Taxi nach Niederthai.
- Unterkunft: Falknerhof in Niederthai, komfortables Berghotel mit Pool und Saunalandschaft, DZ inkl. HP/Nachmittagsjause ab 85 € pro Person, www.falknerhof.com; Veitenhof im Ortsteil Höfle mit eigener Haflingerzucht, Preise je nach Unterkunftsart (Zimmer, Appartments, Ferienhaus), www.der-veitenhof.at
- Einkehr: Larstigalm, urige Jausenstation am Spazierweg entlang des Horlachbachs, Niederthai 25; Tauferberg, Hotelgasthof mit schöner Terrasse direkt an der Langlaufpiste, www.tauferberg.com; Ötztaler Brauhaus, deftige Speisen mit Bierempfehlung, www.oetztalerbrauhaus.at
Niederthai Card: Gästekarte mit vielen Inklusivleistungen, https://www.umhausen.com/de/winter/niederthai-card.html - Auskünfte: www.umhausen.com
Fotos: Simone Eber