Guter Wille, langer Weg – Wie geht nachhaltiges Reisen?
Kurzzeitig von der Corona-Krise verdrängt, rückt nachhaltiger Tourismus jetzt wieder in den Fokus. Anlass für uns, in einer losen Serie verschiedene Aspekte dieses Trends zu beleuchten. Am Anfang steht eine Begriffsklärung und ein Überblick über die Akzeptanz in der Bevölkerung. Außerdem stellen wir Beispiele dafür vor, wie Reisedestinationen Nachhaltigkeit umsetzen.
Erinnern Sie sich? Kurz vor dem Beginn der Corona-Pandemie war unter dem Eindruck immer alarmierenderer Nachrichten über den Klimawandel und der Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung der Begriff Flugscham in aller Munde. Während die einen beteuerten, ihren Urlaub künftig klimaneutral bestreiten zu wollen, weigerten sich die anderen, auf ihren wohlverdienten Trip nach Mallorca zu verzichten. Angebote zur Kompensation des ökologischen Fußabdrucks von Flügen entstanden, wurden aber nur von einer verschwindend geringen Minderheit genutzt.
Dabei greift es ohnehin zu kurz, Nachhaltigkeit auf die Verhinderung CO2-intensiver Flüge zu reduzieren. Es geht vielmehr um einen verantwortungsbewussten Umgang mit Ressourcen auf vielen verschiedenen Ebenen, damit heutige und zukünftige Generationen ein Leben gemäß ihren Bedürfnissen führen können. Übertragen auf den Tourismus bedeutet das, ein Gleichgewicht zu schaffen zwischen den Wünschen der Touristen und der Bevölkerung in den bereisten Ländern.
Die meisten Menschen assoziieren mit Nachhaltigkeit den Schutz der Umwelt, aber genauso wichtig wie ökologische sind soziale und ökonomische Faktoren. Beispiele für den ökologischen Aspekt sind neben einer umweltschonenden Anreise und Mobilität am Urlaubsziel Müllvermeidung sowie die Reduzierung des Wasser- und Energieverbrauchs. In sozialer Hinsicht geht es um einen wertschätzenden Umgang mit den Menschen vor Ort, etwa durch den Schutz indigener Bevölkerungsgruppen und ihres Lebensraums. Nachhaltige Ökonomie schließlich bedeutet, dass die Gemeinschaften vom Tourismus wirtschaftlich direkt profitieren, z. B. indem lokale Lebensmittelproduzenten und Anbieter von Unterkünften in die Verwertungskette eingebunden sind.
Wachsende Zustimmung
Doch wie stehen eigentlich die Bundesbürger zum nachhaltigen Reisen? Kurz vor der weltgrößten Reisemesse, die im März 2021 virtuell stattfand, haben die ITB und Statista die Rascasse GmbH mit einer Datenerhebung dazu beauftragt. Diese weist aktuell ca. 3,1 Millionen Deutsche als Zielgruppe aus, etwa doppelt so viele wie noch 2018. Und auch die Daten des GCS (Global Consumer Survey) von Statista belegen den Nachhaltigkeitstrend im Tourismus: Der Anteil an Befragten, die der Aussage „Wenn es ums Reisen geht, ist Nachhaltigkeit für mich wichtig“ zustimmen, hat sich seit 2018 von 10,8 auf 17,8 Prozent erhöht.
Ausführlicher hat sich das Bundesumweltministerium (BMU) im Herbst 2019 mit dem Thema befasst. Um aktuelle Daten zur Relevanz von Nachhaltigkeit in der Urlaubsnachfrage der Deutschen zu ermitteln, hat sich das Ministerium zum zweiten Mal nach 2014 an der Reiseanalyse (RA) der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) beteiligt. Das Ergebnis: 56 Prozent der Bevölkerung fanden zu diesem Zeitpunkt ökologische oder soziale Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen wichtig, was einem leichten Wachstum der positiven Einstellung im Vergleich zu den Vorjahren entsprach.
Dieser theoretische Zuspruch schlug sich aber nur wenig auf die konkrete Inanspruchnahme nachhaltiger Urlaubsangebote nieder. So lag der Anteil der Flugurlaubsreisen, bei denen eine CO2-Kompensation bewusst getätigt wurde, bei deutlich unter 10 Prozent, bei längeren Urlaubsreisen sogar nur bei 2 Prozent. Für Nachhaltigkeit ausgezeichnete Unterkünfte oder Veranstalter wurden bei 6 bis 8 Prozent der Urlaubsreisen gezielt ausgewählt, und für 4 bis 8 Prozent der Urlaubsreisen gaben die Touristen an, dass Nachhaltigkeit bei der Entscheidung ein ausschlaggebendes Argument war. Gleichzeitig war die für Urlaubsreisen zurückgelegte Distanz seit der ersten Studie deutlich gewachsen – und zwar fast ausschließlich bei Flugreisen.
Auf die Frage, warum zwischen Akzeptanz und Umsetzung nachhaltigen Reisens (noch) eine so große Kluft liegt, fand das BMU verschiedene Antworten. So argumentierten die Autoren der Studie unter anderem, Urlaubsreisen seien „hedonistisch geprägte Freizeitprodukte mit Ausnahmecharakter“, die „zu einer Art selbst erteilter Ausnahmegenehmigung von der ansonsten geübten Nachhaltigkeitsdisziplin“ führen könnten. „Vernunftargumente“ stünden hier nicht im Vordergrund. Außerdem sei bei der Buchung von nachhaltigen Reisen unter Umständen mit höheren Kosten zu rechnen. Damit sind nicht nur höhere Preise gemeint, sondern auch höherer Aufwand, weil es schwieriger sei, die passenden Angebote am passenden Ort zu finden als bei konventionellen Reisen.
Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der Studie „Nachhaltiges Reisen“ des Marktforschungsinstituts YouGov vom Januar/Februar 2020. Die Autoren resümieren: „(…) im Vergleich zum Vorjahr hat das Thema 2020 an Wichtigkeit bei den Konsumenten gewonnen (+5 Prozentpunkte). Häufig wird nachhaltiges Reisen aber durch fehlende Alternativen, mangelnde Informationen und zu hohe Kosten erschwert.“ Zudem sei das Bewusstsein, dass das eigene Verhalten relevant für die Nachhaltigkeit sein könnte, wenig ausgeprägt. So meinten 60 Prozent der Befragten, dass sich ihre Reisetätigkeit auf die globale Erderwärmung nicht auswirken würde. 81 Prozent gaben an, sich nicht fürs Fliegen zu schämen. Proaktiv zeigten sich die Studienteilnehmer dagegen vor allem bei leicht umsetzbaren Maßnahmen. So gaben 52 Prozent an, im Urlaub Handtücher mehrmals zu verwenden, und je 48 Prozent, auf Plastik zu verzichten bzw. lokales Essen zu verzehren.
Vielfältiges Engagement
Einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit von Reisezielen hat die auf politischer Ebene vorgegebene Marschrichtung. Hier fünf Beispiele bekannter Destinationen, die zeigen, welch vielfältige Schwerpunkte gesetzt werden können.
Für viel Wirbel sorgte 2016 die Einführung einer Touristensteuer auf Mallorca, Ibiza, Menorca und Formentera. Dabei wurde gern übersehen, dass die Einnahmen von Anfang an für die nachhaltige Entwicklung bestimmt waren. Laut der Regionalregierung der Balearen wurden inzwischen über 200 Projekte umgesetzt, die dem Schutz der Umwelt und des kulturellen Erbes sowie der Verbesserung der Sozialstandards auf den Inseln dienen. Eines der Ziele ist es, die Balearen als Ganzjahresziel zu etablieren, um Touristenströme zu entzerren. Naturschutzgebiete wurden erweitert bzw. wissenschaftlich dokumentiert und viele Maßnahmen für saubere Mobilität ergriffen. Dazu gehören zum Beispiel die Umstellung bei Mietwagenunternehmen auf elektrische Flotten, eine Zugangsbeschränkung für Fahrzeuge auf Formentera oder ein Shuttlebus zum Cap Formentor auf Mallorca. Seit März 2021 ist außerdem der Verkauf aller Einwegplastikartikel auf den Balearen verboten. http://nachhaltigeinseln.travel/de/its
Bereits in der Sommersaison 2019 ist Lignano Sabbiadoro mit seinem Projekt „Plastic free“ an den Start gegangen. Dabei haben alle Gastronomiebetriebe in den Strandbädern des Urlaubsortes an der Oberen Adria Einwegkunststoffe durch biologisch abbaubare Materialien ersetzt. Erwachsene und Kinder wurden in Workshops und Shows für das Thema Umwelt sensibilisiert. Im vergangenen Jahr ging das Projekt weiter. Ein anderer Fokus liegt in Lignano auf dem Ausbau von Ladestationen für Elektroautos, -fahrräder und -boote. Die meisten Strandbäder arbeiten mittlerweile mit Solarenergie und für Transporte und Fahrten innerhalb der Marinas werden Elektrofahrzeuge verwendet. www.lignanosabbiadoro.it
Ehrgeizige Ziele verfolgt auch Valencia: Die drittgrößte spanische Stadt will im Rahmen ihrer Nachhaltigkeitsstrategie bis 2025 kohlendioxidneutral werden. Dabei spielen die Reduzierung des Verkehrsaufkommens und die Begrünung der Stadt eine wichtige Rolle. So hat die Verwaltung eine 12000 Quadratmeter große Fußgängerzone rund um die zentrale Plaza de Ayuntamiento geschaffen und bereits in 75 Prozent des Stadtgebietes Tempo 30 eingeführt. Das schon 160 Kilometer lange Radwegenetz wird sukzessive weiter ausgebaut. Valencia kann über 100 Hektar Garten- und Parkanlagen vorweisen – erst 2018 eröffnete der 10 Hektar große Parque Central. Stolz ist die Kommune aber vor allem auf den Jardín del Turia, einen der größten städtischen Naturparks Spaniens. Er wurde im ausgetrockneten Bett des Turia-Flusses angelegt und durchzieht die Stadt auf einer Länge von neun Kilometern, ehe er in den Naturpark Turia übergeht. www.visitvalencia.com
Schon 1997 hat das Tourismusinstitut von Costa Rica ein Zertifikat entwickelt, um nachhaltigen Urlaub im Land zu stärken. Mit dem CST (Certificate for Sustainable Tourism) werden seither touristische Betriebe ausgezeichnet, die nach diesem Prinzip agieren. Das Zertifikat wurde im Juli 2020 vom Global Sustainable Tourism Council (GSTC) international anerkannt. Jüngster Schritt des mittelamerikanischen Landes war im November 2020 eine Vereinbarung mit dem Nationalen Fonds zur Finanzierung der Forstwirtschaft (FONAFIFO). Touristen können hier an einem CO2-Kompensationsprogramm teilnehmen, mit dem etwa Baumpflanzungen sowie die natürliche Regeneration der Wälder finanziert werden. www.visitcostarica.com
Autofrei waren die meisten Ostfriesischen Inseln schon immer. Doch auch hier wurden in den vergangenen Jahren Anstrengungen unternommen, um weitere nachhaltige Ziele umzusetzen. Einen Überblick darüber verschafft jetzt eine interaktive Karte, auf der Touristen die einzelnen Inseln anklicken und mehr über ihr Engagement erfahren können. Es reicht vom grünen Strom aus eigener Produktion auf Norderney über den Personen-und Gütertransport durch Pferdefuhrwerke auf Juist bis zur Flüssiggas-Fähre der Reederei AG Ems. www.nachhaltige-inseln.de
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