Hoffnung für den Verbrennungsmotor
Ab 2025 soll für neu entwickelte Verbrennungsmotoren die erheblich schärfere Euro7-Schadstoffnorm gelten. Die Abgasgrenzwerte der künftigen Benzin- und Dieselmotoren müssen dann um ein Mehrfaches unter den aktuellen Grenzwerten der Euro6d-Norm liegen. Ob das technisch umsetzbar ist, der Umwelt hilft und warum der Kaltstart zum Stolperstein für den reinen Verbrennungsmotor werden könnte, haben wir hinterfragt.
Ende dieses Jahres will die EU-Kommission verbindliche Pläne zur neuen Euro7-Abgasnorm auf den Tisch legen, die ab dem Jahr 2025 für alle neu entwickelten Verbrennungsmotoren gelten soll. Die bislang bekannt gewordenen Vorschläge der EU-Kommission und der sie beratenden Advisory Group on Vehicle Emission Standards (AGVES), einem Beratergremium aus Verbraucherschützern, Forschern und Experten der Automobilindustrie, haben es allerdings in sich: So sollen die künftigen Grenzwerte für Otto- und Dieselmotoren um den Faktor fünf bis zehn schärfer ausfallen als bislang. Ein erstes Szenario sah sogar vor, die Grenzwerte so niedrig anzulegen, dass Automobilindustrie und Politik geradezu das faktische Aus des Verbrennungsmotors befürchteten.
Alternativen kurzfristig nicht in Sicht
Doch so weit kommt es nicht. Und das hat Gründe. Punkt 1: Es ist nicht zu erwarten, dass die Elektromobilität in den kommenden zehn Jahren die vorherrschende Antriebsart in Deutschland werden könnte. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) prognostiziert, dass bis 2030 bei einem Gesamtbestand von 50 bis 52 Millionen Fahrzeugen 10,5 bis 11,8 Millionen batterieelektrische Autos (BEV) und Plug-in-Hybride (PHEV) zugelassen sein werden. Punkt 2: Die NPM schätzt, dass als Alternative zum E-Auto bis 2030 selbst unter optimistischen Rahmenbedingungen zwischen einer und 1,8 Millionen Brennstoffzellen-Pkw auf deutschen Straßen rollen. Punkt 3: Ohne den Zuwachs moderner Verbrennungsmotoren steht zu erwarten, dass alte Benziner und Diesel mit höherem Schadstoffausstoß weitergefahren werden. Damit droht die EU, ihre eigenen Klimaziele bis 2030 zu verfehlen. Bis dahin sollen die Treibhausgase der EU um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 gesenkt werden.
In Ermangelung echter Alternativen führt am Verbrennungsmotor der nächsten Generation in den kommenden Jahren kein Weg vorbei. Auch wenn dieser seit dem Dieselskandal im Jahr 2015 in der Öffentlichkeit geradezu unter den Generalverdacht der Manipulation geraten ist. Doch anders als es meist wahrgenommen wird, unterschreiten moderne Diesel und Benziner häufig die eng gesteckten Abgasgrenzwerte der aktuellen Euro6d-Abgasnorm. Und das nicht nur auf dem Prüfstand und beim sogenannten RDE-Test (Real Driving Emissions), bei dem die Autohersteller Testwagen mit portablen Mess-Systemen auf der Straße fahren lassen, sondern auch bei unabhängigen Alltagstests. So prüft das britische Schadstofflabor Emissions Analytics regelmäßig im Auftrag der Zeitschrift „auto motor und sport“ auf festen Routen rund um Stuttgart den Schadstoffausstoß zahlreicher Testfahrzeuge. Modernste Diesel mit neuester Euro6d-Abgastechnik (SCR-Katalysator und Harnstoffeinspritzung) unterschreiten dabei die Grenzwerte von 80 Milligramm Stickstoffoxid (NOx) pro Kilometer um den Faktor vier bis fünf. Die Fahrzeuge emittierten in aktuellen Testfeldern zwischen 12 und 20 mg NOx pro Kilometer.
Anstelle eines festen Grenzwertes pro Kilometer schlägt die Expertenkommission der EU für Euro7-Verbrenner ein Schadstoff-Budget pro definierter Strecke vor. Der Gesetzgeber schreibt bislang vor, dass eine RDE-Messfahrt im Straßenverkehr mindestens 16 Kilometer lang sein muss. Diese Distanz ist ausreichend, um den Katalysator über die Abgase des Motors frühzeitig aufzuheizen. Die hohen NOx-Werte nach dem Start werden dann durch die immer niedrigeren Werte während der Fahrt ausgeglichen. Der Euro7-Durchschnittswert der künftigen Messung muss für Benziner und Diesel gleichermaßen unter einem Grenzwert von voraussichtlich maximal 20 oder je nach Szenario 30 mg NOx pro Kilometer liegen. Das Problem: Die Expertenkommission präferiert dafür künftig eine Strecke von mindestens fünf statt 16 Kilometern – zu kurz für eine frühzeitige Aufheizung des Katalysators durch die Abgase des Motors.
Kaltstart nur mit Zusatzheizung lösbar
„Das gravierendste Problem sind die wenigen Sekunden nach dem Kaltstart“, sagt Prof. Dr. Ing. Michael Bargende, Inhaber des Lehrstuhls Fahrzeugantriebe beim Institut für Fahrzeugtechnik in Stuttgart. Um die prinzipbedingt relativ hohen Abgasemissionen beim Kaltstart in den Griff zu bekommen, könne es notwendig werden, die Abgasanlage von Benzinern und Dieseln noch vor Fahrtantritt vorzuheizen. Wissenschaftler der Technischen Universität Graz empfehlen dafür einen elektrischen Heizer, der den Katalysator innerhalb von 100 Sekunden vor dem Start des Fahrzeugs auf rund 200 Grad Celsius erwärmt. „Der Heizvorgang könnte bereits beginnen, bevor der Startknopf gedrückt wird“, erklärt Prof. Bargende. Allerdings reiche dafür das 12-Volt-Bordnetz herkömmlicher Verbrenner wahrscheinlich nicht mehr aus. Dafür benötige man ein leistungsstarkes 48-Volt-System und das gäbe es nur bei Hybrid-Fahrzeugen, mahnt der Wissenschaftler. Ob das Kaltstartproblem künftig das Ende des reinen Verbrennungsmotors einläutet, ist momentan allerdings noch unklar.
Neben der Kaltstartfrage haben die Entwickler in den kommenden Jahren noch weitere Punkte aus den AGVES-Vorschlägen zu klären: Etwa wie die Schadstoff-Grenzwerte bei extremen Fahrzuständen wie voller Beschleunigung, bei Höchstgeschwindigkeit oder maximaler Zuladung einzuhalten sein könnten. Da der zeitliche Rahmen der Entwicklung knapp bemessen sei, erwartet Prof. Bargende nicht, dass die Automobilhersteller schon 2025 Euro7-konforme Motoren anbieten könnten. Bis dahin bliebe die aktuelle und in den kommenden Jahren weiter verschärfte Euro6d-Norm für den Verbrennungsmotor das Maß der Dinge. Dennoch bezweifelt Prof. Bargende, dass der Aufwand für die Euro7-Abgasnorm in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehe und die geringe Schadstoffreduktion verglichen mit der aktuell gültigen Abgasnorm Euro6d der Umwelt tatsächlich weiterhelfe.
Andererseits hat sich Europa das Ziel gesetzt, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt zu werden. Und das kostet. Wie das Forschungszentrum Jülich (NRW) 2019 prognostizierte, kommen alleine auf Deutschland bis 2050 Mehrkosten von bis zu 1850 Milliarden Euro zu.
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