23.08.2021 Jessica Blank

Pferd trifft Auto

Reiter und Pferd oder eine Pferdekutsche sind im Straßenverkehr nicht überall Alltag. Sollte es aber zu einem Zusammentreffen mit motorisiertem Verkehr, aber auch ­Fahrradfahrern, kommen, gibt es ein paar wichtige Verhaltensregeln – für beide ­Parteien. Wir erklären, warum man gegenseitig Rücksicht nehmen sollte.


Bevor Carl Benz 1885 das Automobil erfand, prägten Pferde das Bild des Straßenverkehrs. Auch danach teilten sich Reiter und Pferdefuhrwerke noch lange die Straßen mit dem motorisierten Verkehr. Heute sind die Tiere kein alltägliches Bild mehr, doch in dicht besiedelten Gebieten bleibt Reitern und Kutschfahrern oft keine andere Wahl, als sich unter Autofahrer und Co. zu mischen. Mit viel Rücksicht kann die Begegnung der ungleichen Verkehrsteilnehmer aber reibungslos verlaufen.

Dafür ist es wichtig, etwas über die Natur von Pferden zu wissen: Sie sind Lauf- und Fluchttiere. Das heißt, wenn sich in der freien Wildbahn ein Feind oder etwas Unbekanntes nähert, suchen Pferde das Weite. „Viele Pferde sind den Straßenverkehr gewöhnt und meistern ihn gelassen und routiniert“, sagt Anna-Sophie Röller, Diplomjuristin bei der Deutschen Reiterlichen Vereinigung e. V. (FN). Dennoch könnten sie sich in gewissen Situationen erschrecken, zur Seite ausweichen und dabei eventuell ihre Spur verlassen. „Auch ein Zögern oder Stocken vor einem unbekannten Gegenstand ist denkbar“, erklärt Röller.

Tempo drosseln

Mit diesem Wissen im Hinterkopf sollten motorisierte Verkehrsteilnehmer ihr Verhalten anpassen, um gefährliche Situationen und Unfälle zu vermeiden. Die FN-Expertin gibt ein paar Tipps: „Wenn Sie sich Pferd und Reiter nähern, wählen Sie unbedingt ein gemäßigtes Tempo.“ Pferde sind in der Regel in Schrittgeschwindigkeit unterwegs, deswegen sollte man nicht schneller als 20 km/h fahren. „Vermeiden Sie dichtes Auffahren und abruptes Abbremsen – genauso wie Drängeln, Hupen oder Aufheulenlassen des Motors in unmittelbarer Nähe der Pferde“, erklärt Röller. Zudem solle man Verständnis haben, wenn der Reiter durch Handzeichen bittet, das Tempo etwas zu reduzieren. Das ist auch angemessen, sobald man einen Reiter an einer Kreuzung stehen sieht. Dieser wartet in der Regel auf eine Lücke, um die Straße gefahrlos überqueren zu können. Wer auf landwirtschaftlichen Wegen geführten Pferden begegnet, sollte ebenfalls abbremsen und sich vorsichtig nähern. „Stellen Sie Blickkontakt her und überholen Sie erst dann mit ausreichendem Seitenabstand, wenn es die Situation zulässt“, erläutert Röller.

Vorsichtig überholen

Das Überholen an sich ist einer der kritischen Momente beim Kontakt mit Pferden. Unerlässlich ist neben einem Seitenabstand von anderthalb bis zwei Metern eine angepasste Geschwindigkeit. „Zu frühes Einscheren nach dem Überholen oder ein Abdrängen der Pferde sind gefährliche Manöver, die zu Unfällen führen können. Scheren Sie erst wieder ein, wenn Sie das Pferd im Rückspiegel sehen“, erklärt die Juristin. Gleiches bezieht sich übrigens auch auf Kutschen im Straßenverkehr.

Für Reiter wie Kutscher gelten auf öffentlichen Straßen die gleichen Regeln der Straßenverkehrsordnung (§ 28 StVO) wie für motorisierte Fahrzeuge. Das bedeutet, dass Reiter die Straße benutzen müssen – Fußgänger- und Radwege sind tabu, sofern es nicht anderweitig ausgeschildert ist. Zudem müssen sie per Handzeichen – wie Radfahrer – den Richtungswechsel mit ausgestrecktem Arm anzeigen. „Das Handausstrecken ist keine Aufforderung zum Überholvorgang. Warten Sie also rücksichtsvoll, bis der Reiter abgebogen ist“, rät Röller. Kutscher oder deren Beifahrer geben ebenfalls Handzeichen. Manche verwenden Winkkelle, Peitsche oder verfügen über eine elektrische Blinkanlage an der Kutsche.

Abstand halten

Häufiger als dem motorisierten Verkehr begegnen Reiter Radfahrern, Fußgängern oder Joggern. Auch hier sollte für das natürliche Verhalten der Tiere Verständnis gezeigt werden. Mit Kommunikation und Blickkontakt gewinnen beide Seiten. Ein freundliches „Hallo“ eines Radfahrers, der sich von hinten nähert, eignet sich besser als die Klingel, die Pferde potenziell erschrecken kann.

Außerdem müssen Fahrradfahrer Abstand halten, anderthalb bis zwei Meter, wie das Landgericht Frankenthal (Az. 4 O 10/19) feststellte. In dem Fall überholte der Fahrer eines Liegerades zwei Reiterinnen mit nur 40 Zentimetern Abstand.

Eines der Pferde schlug aus und verletzte den Radfahrer. Dieser verlangte Schmerzensgeld von der Pferdebesitzerin. Die Richter sahen zwar grundsätzlich eine Haftung gemäß der Tierhalterhaftung, doch der Radfahrer bekam eine Mitschuld, da er die Tiere zu knapp überholt hatte. Er hätte mit unvorhersehbarem Verhalten rechnen müssen. Um auf die besonderen Bedürfnisse beim Aufeinandertreffen zwischen Pferden und Pferdestärken aufmerksam zu machen, hat die Deutsche Reiterliche Vereinigung zwei Informationsvideos produziert, die verschiedene Situationen mit Kutschen und Reitern erklären (www.pferd-aktuell.de/autotrifftpferd). Grundsätzlich ist allen geholfen, wenn jeder auf Vorsicht und Kommunikation Wert legt. „Seien Sie geduldig und rücksichtsvoll, erschrecken Sie die Pferde nicht durch aggressives Fahren, Hupen oder starkes Beschleunigen“, sagt Röller. Denn: „Pferde sind langsame Verkehrsteilnehmer und sie haben keine Knautschzone.“

Titelfoto: FN-Archiv


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