07.01.2024 Wolfgang Sievernich

Erweiterte Komfortfunktionen für teilautomatisiertes Fahren erlaubt

BMW hat es, Ford nun auch. Die Rede ist vom teilautomatisierten Fahren nach Level 2+, bei dem Autofahrer in bestimmten Fahrsituationen die Hände vom Steuer nehmen und den Blick kurzfristig vom Verkehr abwenden dürfen. Wir haben ausprobiert, wie die Technik mitten im Verkehr funktioniert und wie es sich anfühlt, dem Auto das Kommando zu überlassen.


Der Moment, in dem wir während der Fahrt die Hände vom Lenkrad nehmen und in den Schoß legen, hat etwas Magisches an sich. Freihändig legal Auto zu fahren, ist mit Fahrerassistenzsystemen nach Level 1 und 2 (siehe Kasten am Ende des Artikels) nicht möglich. Wir erinnern uns an die Zeit, als wir zum ersten Mal freihändig Fahrrad fuhren. Anfangs nur für ein paar Meter, die rettenden Hände immer in der Nähe des Fahrradlenkers, unsicher, ob des eigenen Gleichgewichts und der Spurtreue des Rades. Diese Unsicherheit schiebt sich auch jetzt in unsere Gedankenwelt. Wie mag es wohl sein, der Maschine das Kommando im Verkehr zu überlassen? Zuzusehen, wie sich das Lenkrad von Geisterhand geführt dreht und dabei das Fahrzeug wie ferngesteuert beschleunigt oder abbremst. In der Fahrschule wurde uns eingeschärft, das Lenkrad aus Sicherheitsgründen immer mit beiden Händen festzuhalten, optimalerweise in der „Viertel vor drei“-Stellung. Und nun dürfen wir es bei voller Fahrt gesetzeskonform aus der Hand geben?

So ist es, vorausgesetzt man sitzt am Steuer eines Autos mit dem neuen teilautomatisierten Fahrsystem nach Level 2+. BMW bietet es etwa als Autobahnassistent im neuen Fünfer (G60) an. Bei Ford heißt es Blue Cruise und wird seit August 2023 nach Freigabe durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA) im rein elektrischen Ford Mustang Mach-E angeboten – unserem Testwagen an diesem Tag.
 

Per Kameraüberwachung kontrolliert das Blue-Cruise-System von Ford während der Fahrt die Blickrichtung des Autofahrers – selbst durch dunkle Sonnenbrillengläser hindurch. Foto: Wolfgang Sievernich

Viele Autobahnen freigegeben

Mit Blue Cruise dürfen Fahrer in einem entsprechend ausgerüsteten Modell des Mustang Mach-E auf bestimmten, bei Ford Blue Zones genannten, Autobahnabschnitten nach manueller Aktivierung durch den Fahrer freihändig Auto fahren. Um unabhängig von Fremdeinflüssen wie Funklöchern zu sein, sind die Daten der Blue Zones im Fahrzeug selbst abgespeichert. Nach Einführung in den USA im Jahr 2021 und in Großbritannien im April 2023 wurde das teilautomatisierte Fahren nach Level 2+ bei Ford mittlerweile auch für rund 95 Prozent der deutschen Autobahnen freigegeben. So wie auf der A57 im Großraum Köln. Auf dem Hinweg durch Stadtverkehr und über Land sind wir noch herkömmlich ohne Unterstützung unterwegs. Sobald die Autobahn erreicht ist, genügt es, den Schalter des Tempomaten auf dem Multifunktionslenkrad zu betätigen und über die Set-Tasten die gewünschte Geschwindigkeit einzustellen.
 

Das Fahrerassistenzsystem Blue Cruise von Ford soll auf 95 Prozent aller deutschen Autobahnen funktionieren. Foto: Ford

Geschwindigkeit auf 130 km/h begrenzt

Für das freihändige Fahren ist die Höchstgeschwindigkeit bei Ford und BMW in Deutschland auf maximal 130 km/h begrenzt. Mittig in der Fahrspur und mit den Händen am Lenkrad schaltet sich Blue Cruise nach der Aktivierung automatisch ein, erkennbar an einem blauen Kreis um das Fahrzeugsymbol im Instrumententräger. Allerdings nur, wenn die Fahrzeugsensoren keine störenden Objekte rund um den Pkw wahrnehmen, wie ein im geringen Abstand einscherendes Auto.
 

Ein blauer Kreis rund um das Fahrzeugsymbol im Display des Ford Mustang Mach-E signalisiert dem Fahrer, dass er jetzt die Hände vom Lenkrad nehmen kann. Foto: Ford

Die Hände in den Schoß gelegt, beobachten wir fasziniert, wie das Lenkrad unseren Testwagen in Eigenregie mit leichten Korrekturbewegungen mittig in der Fahrspur hält. Über Sensoren wie die Frontkamera erfasst das Blue-Cruise-System Fahrbahnmarkierungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen und sich verändernde Verkehrsbedingungen. Auf dieser Basis steuert es Lenkung, Beschleunigung, Bremsen und die Positionierung des Wagens in der eigenen Fahrspur. Über die Verkehrszeichenerkennung passt es zudem die gefahrene Geschwindigkeit an. Der Abstand zum Vordermann lässt sich wie bei allen adaptiven Tempomaten jederzeit per Tastendruck vergrößern oder minimieren.

Wer überholen will, muss beim Mustang Mach-E allerdings selbst wieder ins Lenkrad greifen. Anders bei BMW: Dort reicht ein deutlicher Blick in den linken Außenspiegel aus, damit der Blinker automatisch gesetzt wird und der Wagen die Fahrspur wechselt – vorausgesetzt, dass diese auch frei ist. Ein Blick in den rechten Außenspiegel leitet das umgekehrte Manöver ein und beendet den Überholvorgang.

Fahrer bleibt stets in der Verantwortung

Bei aller technischen Unterstützung bleibt der Fahrer aber jederzeit, also auch mit aktiviertem System in der Verantwortung. Er muss den Verkehr im Blick behalten und aufmerksam bleiben. Die Infrarotkamera hinter dem Lenkrad unseres Testwagens überwacht bei Tag und Nacht permanent die Augenbewegungen des Fahrers und erkennt die Blickrichtung selbst durch dunkle Sonnenbrillengläser. Auf der Testfahrt schauen wir deshalb bewusst zur Seite, der Beifahrerin in die Augen oder auf den Bildschirm des Armaturenbretts. Streift der Blick dabei zumindest nicht kurzzeitig den vorwärtsgerichteten Verkehr, ertönt ein Warnhinweis, zusätzlich ist eine Warnmeldung im Display ersichtlich. Deaktivieren lässt sich die Funktion mit Antippen des Bremspedals oder der Taste des Tempomaten.
 

Auch im Stop-and-go-Verkehr läuft Blue Cruise weitestgehend unproblematisch. Die Funktion beinhaltet sogar die automatische Bildung einer Rettungsgasse. Im Test klappte das Manöver aber erst nach mehrmaligem Anlauf, da zu diesem Zweck eine definierte Minimalgeschwindigkeit unterschritten werden muss und die Aktion scheitert, wenn der Vordermann wieder früher beschleunigt. Zudem deutet Blue Cruise die Rettungsgasse in der eigenen Fahrspur nur an, da die Fahrzeugsensoren das Überfahren der weißen Markierung verhindern. In dem Fall muss der Autofahrer selbst ins Lenkrad greifen und den Wagen je nach Fahrspur an den rechten oder linken Rand steuern.

Ford zufolge hätten Validierungsfahrten in Großbritannien gezeigt, dass Blue Cruise auch unter schwierigen Bedingungen, wie abgenutzten Fahrbahnmarkierungen, widrigen Witterungsverhältnissen und in Baustellen funktioniert. Ausgenommen sind generell Tunnel, enge Kurven sowie Autobahnauf- und -abfahrten.

Verfügbar ist das teilautomatisierte Fahrsystem nach Level 2+ für alle Ford Mustang Mach-E des Modelljahres 2023. Nachträglich lassen sich auch Modelle der Baujahre 2021 und 2022 „over the air“ (OTA) updaten, also mittels Software per Funk aktualisieren, sofern bei diesen das optionale „Technologie-Paket“ beim Neukauf mitgebucht wurde. 

Verkehrssicherheit infrage gestellt

Allerdings gibt es auch Kritik an Blue Cruise. So äußert sich das European Transport Safety Council (ETSC), also der europäische Verkehrssicherheitsrat, in dem der ARCD als einziger deutscher Automobilclub Mitglied ist, skeptisch. Die Experten befürchten, dass Autofahrer bei Assistenzsystemen nach Level 2+ nicht trennscharf zwischen assistiertem und automatisiertem Fahren unterscheiden könnten und ihnen das Verständnis abgehe, welche Aufgabe dem Fahrer in der jeweiligen Situation zufällt. Der ETSC befürwortet hingegen das hochautomatisierte Level-3-System, wie es Mercedes in den Oberklasse-Modellen von S-Klasse und EQS sowie BMW im Siebener anbieten. Dieses System ermöglicht es dem Fahrer auf Autobahnen den Blick vollständig vom Verkehrsgeschehen abzuwenden, allerdings ist die teilautomatisierte Hilfe auf maximal 60 km/h begrenzt. 

Am Ende der Testfahrt sind auch bei uns Fragen offen geblieben. Haben wir uns tatsächlich schon jemals gewünscht, während der Fahrt die Hände vom Lenkrad nehmen zu können? Was nützt das, wenn der Autofahrer Fahrzeug und Verkehr ohnehin ständig überwachen muss? Dem Fahrer vermutlich nicht viel, der Autoindustrie hingegen umso mehr, da die gesammelten Daten aus der Praxis dazu beitragen können, die komplexeren Fahrhilfen der Level 3, 4 und 5 entwickeln zu können.


Der Weg zum automatisierten Fahren

Level 0: Keine Automatisierung

  • Der Fahrer fährt vollständig ohne technische Assistenz.

Level 1: Assistiertes Fahren

  • Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer beim Lenken oder beim Bremsen und Beschleunigen in Quer- oder Längsführung, nicht aber bei beidem gleichzeitig.
  • Der Fahrer behält die Verantwortung.

Level 2: Teilautomatisiertes Fahren

  • Assistenzsysteme können Längs- und Querdynamik zeitgleich steuern.
  • Der Fahrer bleibt in der Verantwortung.

Level 2+: Teilautomatisiertes Fahren

  • Der Fahrer kann in speziellen Fahrsituationen die Hände vom Lenkrad und die Füße von den Pedalen nehmen, muss aber aufmerksam bleiben und das System dauerhaft überwachen.
  • Er bleibt in der Verantwortung.  

Level 3: Hochautomatisiertes Fahren

  • Das Auto übernimmt zeitweilig die Fahraufgabe.
  • Der Fahrer muss das System nicht permanent überwachen und darf anderen Tätigkeiten nachgehen.
  • Innerhalb einer Vorwarnzeit muss er aber in der Lage sein, wieder die Verantwortung zu übernehmen.

Level 4: Vollautomatisiertes Fahren

  • Das Auto übernimmt auf bestimmten Strecken die Fahraufgabe.
  • Der Fahrer darf sich komplett abwenden und sogar schlafen.
  • In definierten Bereichen gibt er die Verantwortung an das Fahrzeug ab.

Level 5: Autonomes Fahren

  • Das Fahrzeug kann überall im Straßenverkehr und unter allen Verhältnissen ohne den Menschen fahren.
  • Einen menschlichen Fahrer gibt es in dieser Stufe nicht mehr. Er wird zum Passagier, die Verantwortung liegt beim Auto.

Titelfoto: Daimler