24.07.2024 Jessica Blank

Wie Roboterautos unterstützen könnten

Hochautomatisierte Roboterfahrzeuge streifen durch die Innenstadt, transportieren Personen, verrichten kommunale Arbeiten wie Blumengießen oder Müllentleeren. Was nach einer weit entfernten Zukunftsvision klingt, ist vielleicht schon ab 2030 Realität. Beim Projekt Campus Free City erprobten Wissenschaftler in einem Reallabor im Frankfurter Deutsche Bank Park, wie die EDAG Citybots in einer Smartcity zum Einsatz kommen könnten.


Schüler umringen das schwarz-silbrig glänzende, futuristische Fahrzeug. Vergessen ist das Training der Frauenfußballerinnen von Eintracht Frankfurt, denen sie eben noch zugesehen haben. Die Kinder versuchen, durch die getönten Scheiben ins Innere zu spähen, kaspern, ziehen Grimassen. Was sie nicht ahnen: Die Passagiere in dem hochautomatisierten Roboterauto beobachten alles. Genauso wie die Kameraaugen des Avatarkopfes. „Ich habe ein Problem und stehe in Kontakt mit dem operativen Zentrum“, verkündet der Citybot und bremst, um keines der Kinder zu gefährden. 

Im elektrisch angetriebenen Peoplemover sitzt Johannes Barckmann zusammen mit zwei Wissenschaftlern, die die Fahrt begleiten und dokumentieren. Und die Hand im Ernstfall am roten Not-Aus-Knopf haben. Barckmann ist der Vater der EDAG Citybots, er hat die hochautomatisierten Fahrzeuge entworfen. Das Konzept: Ein Zugfahrzeug kann – ähnlich wie bei einem Space Shuttle – mit verschiedenen Modulen gekoppelt werden. Eines davon ist der Peoplemover, ein Transporter für vier Personen, barrierefrei durch eine ausfahrbare Rampe. „Als Peoplemover allein wäre der Citybot unterfordert, er braucht 24/7 Beschäftigung“, erklärt Barckmann. Je nach gebuchtem Auftrag kann das Modul gewechselt werden. Auf dem Gelände des Deutsche Bank Parks wurden verschiedene sogenannte Use Cases simuliert: Personentransport, Belieferung der Kioske mit Waren, Entsorgung von Abfällen und Grünschnitt, Bewässerung, und Beförderung von Arbeitskräften. Das Projekt Campus Free City nutzte während des Reallabors die 420.000 Quadratmeter Fläche als Testfeld für die Citybots der Fuldaer Firma EDAG. Zudem führten Hochschulen Akzeptanzstudien durch. Die Ergebnisse sollen im Herbst 2024 vorliegen. Für die Erprobungsfahrten wurde das Gelände komplett digitalisiert und über GPS wurden Idealfahrwege für die Citybots vorgegeben. 
 

Der EDAG Citybot kann als Peoplemover bis zu vier Personen transportieren. Foto: EDAG

Citybot muss noch viel lernen

Mit zehn Kilometern pro Stunde bewegt sich der Peoplemover extrem langsam auf das Frankfurter Fußballstadion zu. Die Bremsung kommt dennoch heftig und unerwartet. Eine Mülltonne steht im Weg. Die Beinahe-Kollision haben die Wissenschaftler absichtlich provoziert. „Der Citybot muss lernen wie ein Baby: labeln, klassifizieren, wiederholen. Tausendfach, bis er Objekte erkennt“, sagt Barckmann. „Aber er würde nie einen anfahren, wir gehen von Zero Accidence aus.“ Nun steht der Roboter in Kontakt mit dem Teleoperator, auf seiner Matrix-Leuchtanzeige erscheint ein „T“. Das „A“ für automatisiertes Fahren verschwindet.


Wir haben den Citybot sehr freundlich gestaltet, sehr ruhig, er soll keine Aggression in Aussehen, Gestalt oder in der Art, wie er spricht, ausstrahlen.“

– Johannes Barckmann, Designer bei EDAG Engineering


Mehrere hundert Meter weit weg sitzt der Teleoperator hinter einem riesigen Bildschirm. Mit einem Lenkrad und Pedalen übernimmt er nun das Steuer. „Der Teleoperator braucht einen Führerschein, er ist kein Gamer“, erklärt Barckmann – auch wenn der Arbeitsplatz ein bisschen wie bei einem Zocker aussieht. Eine Frage, die auf dem Campus Free City beantwortet werden soll: Wie viele Citybots kann ein Teleoperator, der übrigens überall auf der Welt sitzen könnte, gleichzeitig bedienen? Für den Peoplemover geht die Fahrt nun weiter. Er erzählt seinen Passagieren in der Zwischenzeit Witze. Auch die Kommunikation mit dem Roboter wird ausgiebig getestet. „Bei Technologie hat der Mensch null Toleranzschwelle, das versucht er zweimal und dann hat er keinen Bock mehr“, erzählt Barckmann und lacht. Per Sprachbefehl können Passagiere ihre Haltestelle angeben und auch den Wunsch nach der ausfahrbaren Rampe äußern. Ist die Fahrt schon vorher für eine mobilitätseingeschränkte Person gebucht, fährt sie automatisch aus.
 

Der Peoplemover kann durch eine ausfahrbare Rampe auch barrierefrei genutzt werden. Foto: HOLM

Wenn Leute sich registriert haben, erkennt das Kamerasystem im Avatarkopf sie sogar. Er soll Ansprechpartner in der Stadt sein. Bei dem vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr geförderten Projekt geht es auch um die Akzeptanz solcher Fahrzeuge. „Wie kommt es bei den Leuten an, wenn Roboter in die Stadt einfallen? Wir haben den Citybot sehr freundlich gestaltet, sehr ruhig, er soll keine Aggression in Aussehen, Gestalt oder in der Art, wie er spricht, ausstrahlen“, erklärt Barckmann. Gelegentlich zwinkert der Roboter sogar. „Er soll kein scary Darth Vader sein.“ Das Feedback bisher sei unterschiedlich.

Einsatz rund um die Uhr vorgesehen

Die Idee der Firma EDAG, Engineering-Dienstleister für die ganzheitliche Entwicklung von Fahrzeugen und Smart Factories: Der Citybot soll in einer Smartcity, etwa einer begrenzten Zone in der Innenstadt, rund um die Uhr beschäftigt sein – abgesehen von Ladezeiten natürlich. Je mehr Module im Einsatz seien, desto effizienter, sagt Barckmann, dem Idee und Konzept gehören. Über eine App könnte man die Dienste buchen und bezahlen. 
 

Und schon kommt der nächste Auftrag rein. Der Citybot mit dem Bewässerungsmodul marschiert los. Bis zu 50 Kilometer pro Stunde könnte er fahren, für die Stadt reichen aber 30. „Das ist dreimal so schnell wie die Durchschnittsgeschwindigkeit in London“, sagt Barckmann. Auf dem Testgelände darf er nur zehn km/h fahren. Also schleicht er eher zum nächsten Baum, vor dem ein Feuchtesensor im Boden steckt. Auf dem Teller dreht sich der Citybot um – mit vier Radnabenmotoren ist er so agil wie eine Krabbe und kann sogar seitwärts fahren – und fährt rückwärts auf den Baum zu. Bewässerung marsch. Wie ein Hund pinkelt der Roboter an den Baum. „Perspektivisch würde er jetzt Geld vom Baum bekommen und dann zum nächsten Case fahren oder ins Nest“, erläutert Barckmann.
 

Entlastung durch autofreie Zonen

Eine Zukunftsvision: Ab dem Jahr 2030 könnten solche Roboter die Innenstädte vom Verkehr entlasten. In einer begrenzten Zone, in der keine Autos erlaubt sind, transportieren die hochautomatisierten Fahrzeuge Personen von A nach B oder zu ihren Autos außerhalb. Oder sie verrichten kommunale Arbeiten, übernehmen Lieferdienste. Mithilfe von Füllstandsensoren könnten die Helferlein auch Mülleimer entleeren. Je mehr Sensoren für eine automatische Buchung vorhanden wären, umso cleverer wäre die Stadt. Beim Projekt Campus Free City ist die Rede davon, dass so die Fahrzeugdichte von 580 Fahrzeugen auf 100 pro 1.000 Einwohner reduziert werden könnte. Mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer inklusive. „Die Städte sind aber noch nicht so weit, da muss sich noch viel tun. Aber man kann die Menschen schon heute darauf vorbereiten“, meint Barckmann. Zudem bräuchte man ein flächendeckendes 5G-Netz, aber das habe man in Deutschland nicht, erklärt er und lacht. Die Citybots sind mit zwei SIM-Karten ausgestattet, die priorisiert immer Zugriff auf das Netz haben – wenn eines da ist. Ab 2030 kann sich der Erfinder der Citybots aber eine Verkehrssimulation vorstellen, zum Beispiel in den bereits jetzt autofreien Superblocks in Barcelona. Dort fehlen derzeit noch Lösungen für Lieferdienste und kommunale Arbeiten …


Die Städte sind noch nicht so weit, da muss sich noch viel tun. Aber man kann die Menschen schon heute darauf vorbereiten.“

– Johannes Barckmann, Designer bei EDAG und Erfinder des Citybots


Bei allen Vorteilen gibt es auch Kritikpunkte, die Barckmann schnell entkräftigen kann: „Die Citybots sind keine Jobkiller. Wir haben 8.000 offene Stellen in der Kommunalwirtschaft. Das ist die clevere Antwort auf Fachkräftemangel.“ Nicht zu vergessen: der Datenschutz. Durch das Kamerasystem sammelt ein Citybot unfassbar viele Daten, zehn Terrabyte am Tag. Die produzierten Daten würden allerdings alle 30 Sekunden gelöscht, da sonst zu große Rechner benötigt würden. Die Gesichtserkennung kann aber auch praktisch sein, wenn man an Vandalismus denkt. Dennoch sei es wichtig, die Leute ins System zu integrieren und die Akzeptanz zu erhöhen. Für den Straßenverkehr sind zudem noch einige, unter anderem ethische, Aspekte zu klären. Der Citybot läuft auf Level 4+ des Automatisierungsgrads, wird diesen aber aufgrund seiner Einstufung als Maschine nicht verlassen können. Das Kraftfahrbundesamt sieht ein Problem, weil es derzeit nur eine Fahrgestellnummer registrieren kann: als Personenfahrzeug, Nutzfahrzeug oder Maschine. Und ein Citybot kann ja alles sein.
 

Die Citybots bieten auch außerhalb des Campus Free City und dem Stadiongelände eine Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten. So könnten sie unter anderem auf einem Flughafenvorfeld unterstützend tätig sein. Auf dem Privatgelände gilt keine Straßenverkehrsordnung, das macht vieles einfacher. Dort wolle man feststellen, ob die Roboterfahrzeuge überhaupt so profitabel seien, wie man sich das vorstelle, sagt Barckmann. Die Flughäfen hätten ein hohes Interesse am Einsatz auf dem Vorfeld, etwa beim Koffertransport oder bei der Landebahnreinigung. Auch hier leidet man unter Fachkräftemangel. „Auf dem Flughafen kann der Citybot noch super viel lernen“, ist sich der Designer sicher. 

Für Johannes Barckmann ist ein Prinzip aus der Natur die Lösung für den Verkehrsinfarkt in den Innenstädten: der Blutkreislauf. „Die Natur hat ein logisches Masterpiece. Das System ist immer im Fluss, ein Stau ist ein Thrombus“ – und führt zum Kollaps. Deswegen sollen die Citybots rund um die Uhr im Einsatz sein, um das Verkehrsaufkommen zu reduzieren: als Fahrgastzelle, Cargo-Träger, Stadtreinigungsgerät oder zur Grünanlagenpflege. Dadurch seien sie nicht wie reine Öffentliche Verkehrsmittel mal stark, mal schwach ausgelastet. Stellt sich weiterhin die Frage, wie das bei den Menschen ankommt. Die Kinder auf dem Gelände von Eintracht Frankfurt sind jedenfalls fasziniert von den Heinzelmännchen der Zukunft.
 

Fakten und Daten zum EDAG Citybot

  • Hochautomatisiertes Roboterfahrzeug ohne Fahrerarbeitsplatz (Level 4+)
  • Antrieb: vier Radnaben-E-Motoren à 20 kW, insgesamt 1.000 Nm Drehmoment
  • Batteriekapazität: 20 kWh
  • 360-Grad-Agilität durch 132-Grad-Lenkwinkel
  • Umfelderkennung durch Ultraschall- und Lidarsensoren
  • Mögliche Betriebszeit: sechs bis acht Stunden (150 bis 220 km)
  • Höchstgeschwindigkeit: 10 km/h (Laborbetrieb), 25 km/h (getestet), 50 km/h (technisches Entwicklungsziel)
  • Leergewicht: Traktor 910 kg, Peoplemover-Modul 1.180 kg, Backpack-Modul (z. B. Mulde) 87 kg
  • Automatische Modulkopplung über GPS
  • Vernetzung über 5G-Mobilfunk
  • Bei Bedarf teleoperierter Betrieb über Cloud Computing
  • Lebensdauer: acht Jahre

Titelfoto: EDAG


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