Neues E-Auto oder alter Verbrenner?
Elektroautos zu bauen ist energieaufwendig. Ist es da nicht ökologischer, alte Gebrauchtwagen weiterzufahren? Forscher zeigen nun: Vom Verbrenner auf E-Antrieb umzusteigen lohnt fast immer.
Der Lack glänzt, der Motor schnurrt: Fast könnte man den VW Golf 2 von Ulrich Venjakob für einen Jahreswagen halten. Dabei wurde der Benziner im September 1990 erstzugelassen. Damals hatte Deutschland gerade die Fußball-WM in Italien gewonnen, das Land stand kurz vor der Wiedervereinigung. Und Ulrich Venjakob kaufte sich den Golf bei einem Autohaus in Mönchengladbach als Neuwagen, in Brillantschwarz-Metallic. Lang ist das her, doch der VW rollt noch immer putzmunter über die Straßen. Fast 34 Jahre ein und dasselbe Auto? Andere hätten sich in dieser Zeit fünf bis sechs Neuwagen gekauft, sagt der Mann aus Willich am Niederrhein stolz: „Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich so wohl nicht, oder?“
Wie viele andere Langzeit-Autofahrer ist Venjakob sicher, dass es vergleichsweise umweltschonend sei, seinen Pkw ewig weiterzufahren. Ihre These: Automobile Veteranen aus den Neunziger- oder Nuller-Jahren sind längst gebaut. Die Herstellung von Neuwagen indes ist energieaufwendig. Das betrifft speziell Elektroautos, deren Akkus zudem knappe Rohstoffe wie Lithium oder Kobalt benötigen.
Die Frage der Nachhaltigkeit stellt sich so wohl nicht, oder?“
Nachhaltigkeitsstrategien nicht pauschal richtig
Wer ein altes Auto weiterfährt, spart Ressourcen ein, so die weit verbreitete Meinung. Reparieren statt wegwerfen. Tatsächlich gilt es als besonders nachhaltig, ältere Gebrauchsgegenstände weiterzunutzen. Bei Möbeln, Kleidung oder Fahrrädern trifft das in der Regel zu. Doch geht die Rechnung auch bei älteren Autos auf? Nein, zeigt jetzt eine neue wissenschaftliche Untersuchung: Bei Dieseln und Benzinern werden die meisten Ressourcen nämlich nicht bei der Herstellung, sondern beim Betrieb verbraucht, also dem Verbrennen fossiler Kraftstoffe. Dabei fallen mittelfristig erheblich mehr klimaschädliche Emissionen an als bei der Produktion und Nutzung eines Elektroautos. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu).
Diese widerlegt die verbreitete These von Altauto-Liebhabern, wonach es geradezu umweltfreundlich sei, bereits produzierte Verbrenner weiterzunutzen. Laut ifeu ist vielmehr das Gegenteil der Fall: Danach ist die Entscheidung für ein Elektroauto fast immer die klimafreundlichere Option, wenn man den ganzen Lebensweg von Fahrzeugen betrachtet. Denn der Strom wird in Deutschland bereits zu einem großen und wachsenden Teil mit erneuerbaren Energien produziert – 2023 stieg ihr Anteil auf 56 Prozent. Dadurch könnten Elektroautos die gegenüber Verbrennern deutlich höheren Herstellungsemissionen durch niedrigere Nutzungsemissionen bei durchschnittlicher Lebensfahrleistung mehr als ausgleichen, rechnen die ifeu-Forscher vor. Die Entscheidung für ein neues Elektroauto spare gegenüber einem neuen Verbrenner über den gesamten Lebensweg – von der Herstellung bis zur Verschrottung – fast 50 Prozent Treibhausgasemissionen ein.
Nun fahren Millionen Deutsche allerdings keinen Neuwagen, sondern ältere Benziner und Diesel. Das Durchschnittsalter der Gebrauchtwagen stieg sogar auf einen neuen Rekordwert von zehn Jahren. Gleichzeitig halten sich Vorbehalte gegenüber Elektromobilität hartnäckig, obwohl deren ökologische und ökonomische Vorteile längst belegt sind. Dennoch schreckt der vergleichsweise hohe Kaufpreis viele Menschen von der Anschaffung ab. Auch an der Umweltfreundlichkeit von Elektroautos wird nach wie vor gezweifelt.
Dabei belegen diverse Studien ihre deutlich bessere Ökobilanz. Batterieelektrische Fahrzeuge (BEV) emittieren bereits beim aktuellen Strommix über die gesamte Lebensdauer deutlich weniger Treibhausgase als vergleichbare Verbrenner. Als Messmethode zur Umweltbewertung hat sich die Lebenszyklus-Analyse (Life Cycle Analyse, LCA) etabliert. Forscher sahen sich verschiedene Antriebsarten in der Kompakt- oder Golf-Klasse an. Dort spielt das Elektroauto seine Vorteile im Vergleich zu neuen Diesel- oder Benzin-Pkw schon heute nach 45.000 bis 60.000 Kilometern aus. Bei Nutzung von regenerativem Strom amortisiert es sich klimatechnisch nach etwa 25.000 bis 30.000 Kilometern.
Betrieb entscheidend, nicht die Produktion
Das Problem: Bei den einschlägigen Studien wurden bislang nur Neuwagen miteinander verglichen. Ein Vergleich mit der Weiternutzung von Alt-Verbrennern fehlte, dabei ist deren Bestandsflotte riesig. 2023 waren in Deutschland noch fast zweieinhalb Millionen Pkw mit den Emissionsklassen 1 bis 3 von Vorvorgestern zugelassen. Unter Euro4 fielen fast zehn Millionen Altverbrenner, unter Euro5 über elf Millionen.
Viele Besitzer dieser Fahrzeuge stellen sich die Frage, ob es nicht besser sei, den alten Verbrenner weiterzufahren, um die hohen Herstellungsemissionen von Elektroautos zu vermeiden. Der VW Golf 2 von Ulrich Venjakob spulte dank guter Pflege eine Viertelmillion Kilometer ohne größere Wehwehchen ab. Penibel hat der Druckerei-Ingenieur im Ruhestand alle Werkstattrechnungen seit dem Neukauf gesammelt. Exakt 22.844 Euro an Reparatur- und Wartungskosten verschlang der Wagen bis heute. Das klingt erst einmal nach viel Aufwand. „Doch was ist, wenn ich immer neue Autos kaufe?“, entgegnet der Altauto-Fan: „Wie sieht denn dann die Öko-Bilanz aus?“
Die Forscher des ifeu-Instituts verglichen nun erstmals die Umweltbilanz von neuen Elektroautos mit der Weiternutzung älterer Verbrenner. Zwar stimmt es, dass diese bereits produziert sind. Durch ihren Weiterbetrieb können die vergleichsweise hohen Herstellungsemissionen eines Elektroautos zunächst eingespart werden. „Die Fahrzeugnutzung führt dann aber aufgrund der Antriebstechnik zu erheblich höheren Emissionen, in der Regel auch gegenüber einem neuen Verbrenner“, erklärt ifeu-Wissenschaftler Hinrich Helms.
Ein stromfressender alter Kühlschrank wird ja auch nicht dadurch nachhaltig, indem er möglichst lange weitergenutzt wird.“
Denn etwa 85 Prozent und damit der überwiegende Anteil klimarelevanter Emissionen entsteht bei Verbrennern durch den Betrieb, also durch das Bereitstellen und Verbrennen fossiler Kraftstoffe. Dass die mit nur etwa 15 Prozent gewichteten Herstellungsemissionen bei Gebrauchtwagen schon lange zurückliegen und quasi abgeschrieben sind, fällt bei der CO2-Bilanz über den gesamten Lebenszyklus kaum mehr ins Gewicht. „Ein stromfressender alter Kühlschrank wird ja auch nicht dadurch nachhaltig, indem er möglichst lange weitergenutzt wird“, rechnet Helms vor.
Zwar vergrößere sich bei bereits „abgeschriebenen“ Gebrauchtwagen die notwendige Fahrleistung, bis sich bei Elektroautos die Herstellungsemissionen amortisieren. Bei einer üblichen Pkw-Jahresfahrleistung von durchschnittlich 13.750 Kilometern führt laut ifeu-Untersuchung aber auch in diesem Fall der Umstieg auf das E-Auto bereits nach 5,2 Jahren zu einer besseren Klimabilanz als die Weiternutzung des Verbrenners. Dabei nahmen die ifeu-Forscher für ihren Fahrzeugvergleich an, dass ein Elektroauto auf 100 Kilometer 21 Kilowattstunden Strom und ein Benziner sieben Liter Sprit verbraucht – also für Verbrenner ein relativ gut gemeinter Wert. Viele ältere Pkw konsumieren deutlich mehr, gerade im Stadtverkehr.
Gute Nachrichten für Liebhaberautos
Den Erhalt dieser Fahrzeuge pauschal als nachhaltig darzustellen, sei ein Denkfehler, erklärt Martin Wietschel vom Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung ISI. Denn: Neben CO2 emittierten alte Verbrenner auch Luftschadstoffe wie Stickstoffoxide, Kohlenmonoxid oder Feinstaub – und davon bei antiquierten Emissionsklassen beziehungsweise Abgasanlagen überproportional viel.
Bei den CO2-Emissionen sei der Schwachpunkt von E-Autos zwar immer noch die Akkuherstellung, weil dafür knappe und deshalb kritische Rohstoffe wie Nickel, Mangan, Kobalt und Lithium gewonnen werden müssten, deren Abbau teils mit relevanten ökologischen Folgen verbunden sei: „Aber die Batterietechnologie macht gerade diesbezüglich enorme Fortschritte“, sagt Wietschel. So kämen Lithium-Eisenphosphat-Akkus ohne Nickel und Kobalt aus, Natrium-Ionen-Batterien bräuchten gar keine kritischen Rohstoffe mehr. Auch gehe der Energieeinsatz bei der Batterieproduktion zurück.
Aber die Batterietechnologie macht gerade diesbezüglich enorme Fortschritte.“
Ein weiterer Vorteil der Antriebswende: Neue Elektroautos, mögen sie auch heute noch recht teuer in der Anschaffung sein, werden in ein paar Jahren zu erschwinglicheren Gebrauchten. So ermöglichen sie perspektivisch auch Menschen mit weniger Geld, auf klimafreundlichere E-Mobilität umzusteigen.
Das Fazit der Forscher vom ifeu-Institut ist eindeutig: Beim Betrieb ist der Vorteil von Elektroautos gegenüber Verbrennern (auch bereits produzierten) schon heute so groß, dass der Wechsel – fast – immer sinnvoll ist. Eine Einschränkung nämlich gibt es: „Allein ausgeprägte Garagenwagen mit Jahresfahrleistungen unter 3.000 Kilometern bilden heute noch eine Ausnahme.“
Zu solchen Fahrzeugen gehört der VW Golf von Ulrich Venjakob: Gehätschelte Liebhaber-Autos, die nur bei schönem Wetter und zu Sonntagsausfahrten bewegt werden – und über das Jahr gerechnet entsprechend wenig Abgase ausstoßen. Im Alltag bleibt Venjakobs Golf nämlich oft in der Garage. „Alles, was ich hier in der Nähe erledigen kann, fahre ich mit dem Fahrrad“, sagt der Rentner. Allerdings besitzen er und seine Frau für weitere Strecken und Reisen noch einen Diesel-Passat, mit dem sie jährlich etwa 12.000 Kilometer fahren – zusätzlich zu den etwa 3.000 Kilometern mit dem alten Golf. Würde sich da nicht doch ein E-Auto lohnen?
Gepflegte Liebhaberstücke mit geringer Jahreslaufleistung wie der Golf 2 von Ulrich Venjakob lassen sich auch heute noch mit gutem Klimagewissen bewegen.
Fotos: Haiko Tobias Prengel
Tatsächlich haben die Venjakobs schon zwei Solarpanele auf ihrem Eigenheim installiert, die Kühlschrank, Fernseher und andere Haushaltsgeräte mit Strom versorgen. Über eine größere Anlage ließe sich eine Wärmepumpe betreiben, wenn die über 30 Jahre alte Heizung mal den Geist aufgibt, überlegt Ulrich Venjakob am Wohnzimmertisch. „Da denken wir gerade drüber nach.“ Ob dann auch die Wallbox für ein E-Auto kommt, bleibt offen.
Klar ist: Oldtimer-Fans dürfen sich auch weiterhin an ihren alten Vehikeln erfreuen. Wer seinen Benziner und Diesel ganz selten bewegt und sich sonst zum Beispiel aufs Fahrrad setzt oder öffentliche Verkehrsmittel benutzt, mag seinen alten Verbrenner noch eine Weile mit gutem Gewissen behalten. Doch im Alltag fahren die Deutschen mit ihrem Pkw im Durchschnitt über vier Mal so viel als jene 3.000 Kilometer des venjakobschen Golf, und das Jahr für Jahr. Für diese Millionen „Gebrauchswagenbesitzer“ lohnt sich der Umstieg auf ein Elektroauto schon jetzt, wie die Wissenschaft zeigt – zumindest aus Klimasicht.
Titelfoto: stock.adobe.com/© Aldeca Productions