Zeit zum Abspecken: Was übergewichtige Fahrzeuge anrichten
Neuwagen werden immer größer und schwerer. Darunter leiden Straßen und Umwelt, auch fressen SUV massig öffentlichen Raum. Ob sich Autos wieder grundsätzlich auf ein vernünftiges Maß bringen lassen, ist offen.
Nicht nur die deutsche Bevölkerung hat ein Problem mit Übergewicht. Auch die Autos auf den Straßen gehen bisweilen auseinander wie ein Hefekloß. Der neue BMW XM etwa bringt fast 2,8 Tonnen Leergewicht auf die Waage und ist 5,11 Meter lang sowie über zwei Meter breit. Um den kolossalen Plug-in-Hybrid sportlich bewegen zu können, sind 653 PS nötig.
Zugegeben, der XM ist ein besonders krasses Beispiel für den Leistungs- und Größenwahn in der Autoindustrie. Auch sind an diesem Trend die viel gescholtenen SUV nicht alleine schuld. Die Aufrüstung mit mehr Blech, mehr Komfort und mehr Power begann schon viel früher, bevor die Stadtgeländewagen in Mode kamen. Und sie reicht über Kleinbusse, Kombis und Limousinen bis zu Klein- und Kompaktwagen.
Nehmen wir den VW Golf: Asketische 750 Kilogramm brachte die erste Modellgeneration ab 1974 auf die Waage. Dagegen ist ein aktueller Golf 8 schwer adipös. Der wiegt je nach Motor und Ausstattung bis über 1.600 Kilo – also mehr als das Doppelte. Die Elektromobilität verstärkt die Entwicklung. Der Wunsch nach viel Leistung und Reichweite macht große Batterien notwendig. Wegen der Akkus ist ein Elektrofahrzeug im Durchschnitt 300 Kilo schwerer als ein Fahrzeug mit konventionellem Motor. Ein VW ID.4 wiegt über 2,1 Tonnen. Ein vergleichbarer Passat kommt mit rund 500 Kilogramm weniger aus.
Hohes Gewicht belastet die Infrastruktur
Doch je mehr Kilo ein Antrieb bewegen muss, desto höher der Verbrauch. Auch für die Verkehrsinfrastruktur wird die Gewichtszunahme von Kraftfahrzeugen zunehmend zum Problem. Straßen und Brücken sind vielerorts marode. Zudem schwächeln die Leitplanken und Schutzwände aus Beton, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) festgestellt hat. Die Konstruktionen seien auf die leichteren Autos der 80er- und 90er-Jahre zugeschnitten. Die schwereren und höheren aktuellen Modelle wie SUV und Transporter könnten die Leitplanken überwinden oder von Betonwänden so zurückgeschleudert werden, dass den Insassen bei Aufprall oder Überschlag schwere Verletzungen drohten, warnte bereits im vergangenen Jahr Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer beim GDV.
Verkehrsfachleute wissen schon lange, dass schwerere Autos schwerere Schäden anrichten – nicht nur an der Umwelt durch mehr Verbrauch und Abgase, sondern auch auf den Straßen. Als Faustregel gilt unter Fachleuten die dritte Potenz des Gewichts. Danach verursacht ein zwei Tonnen schwerer Pkw auf dem Asphalt acht Mal so viele Schäden wie ein eine Tonne schweres Auto. Bei Lkw ist der Effekt besonders heftig: So setzt ein Vierzigtonner Straßen und Brücken 64.000 Mal schwerer zu als ein Kleinwagen.
Umso erstaunlicher ist, dass das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) bei den inzwischen knapp 49 Millionen Pkw im Land keinen Zusammenhang zwischen Fahrzeuggewicht und übermäßiger Abnutzung der Straßeninfrastruktur erkennen kann. „Dem BMDV liegen diesbezüglich keine Studien oder Untersuchungen vor“, erklärte das Ministerium 2022 auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Aus Sicht der Bundesregierung stellt auch die Gewichtszunahme von Pkw kein grundsätzliches Problem für die Straßen und Brücken dar. „Eine Erhöhung der Gesamtmassen im Pkw-Bereich führt nicht zwingend zu einer zusätzlichen Beanspruchung der Infrastruktur“, so das Ministerium. Fachleute sehen das anders.
Nicht ohne Grund richten sich etwa auch die Versicherungsprämien der Kfz-Haftpflicht unter anderem nach der Größe eines Fahrzeugs. Doch die Politik ignoriert die Korrelation zwischen Fahrzeuggewicht und Umweltschäden, etwa bei der Gestaltung der Kfz-Steuer. Ja, das sogenannte Dienstwagenprivileg fördert sogar die Anschaffung großer, CO2-starker Limousinen und SUV mit milliardenschweren Subventionen.
Für Umwelt und Infrastrukturschäden zahlen muss die Allgemeinheit. So steigen die Kosten für die Erneuerung der überlasteten Straßen enorm. Allein für die Modernisierung der Autobahnbrücken veranschlagt das Bundesverkehrsministerium bis 2030 Kosten von über neun Milliarden Euro.
Fortschritt nicht immer sinnvoll eingesetzt
Nun argumentieren die Hersteller gerne, dass ihre Fahrzeuge durch mehr Sicherheits- und Komfortsysteme schwerer geworden seien. Freilich ist es eine Errungenschaft, dass Pkw heute serienmäßig mit Airbags, Antiblockiersystem oder Elektronischem Stabilitätsprogramm (ESP) ausgerüstet sind. Auch auf Klimaanlage und Multifunktionsdisplay wollen Autofahrer nur ungern verzichten. Die starke Gewichtszunahme kann die modernere Technik aber nur bedingt erklären.
So zeigte Audi mit dem A2 schon vor 20 Jahren, wie effizient und komfortabel zugleich ein Kompaktwagen sein kann. Mit dem A2 3L mit Dreizylinder-Diesel-Direkteinspritzer und Leichtbauweise schufen die Ingenieure ein Drei-Liter-Auto, das nur 855 Kilo wog – trotz serienmäßiger Sicherheitsausstattung wie Airbags oder ESP. Das Crashverhalten des A2 war gut. Sogar ein Smart fortwo schnitt gut ab, als Mercedes ihn 2014 bei einem hausinternen Crashtest mit 50 km/h gegen eine S-Klasse prallen ließ.
Effiziente und sparsame Autos sind also möglich. Doch die Autoindustrie nutzte die Fortschritte bei der Technik dazu, Pkw größer und schwerer zu machen. Statt Ressourcen einzusparen, wuchs die durchschnittliche PS-Leistung von Neuwagen stetig. Die Zweieinhalb-Tonner sollen sich ja spritzig bewegen lassen. Auch dass viele (Stadt-)Autos heute mit (gewichtserhöhendem) Allrad-Antrieb unterwegs sind, ist einigermaßen bizarr: In weiten Teilen Deutschlands fällt kaum noch Schnee.
Trotzdem wurden 2022 hierzulande über eine Million oft allradangetriebene Geländewagen und SUV neu zugelassen, das ergab einen Marktanteil von etwa 40 Prozent. Volkswagen profitiert am stärksten von dem anhaltenden Trend. Die meistverkauften SUV waren mit jeweils rund 59.000 Neuzulassungen VW Tiguan und VW T-Roc – also im Grunde zwei höher gelegte Golf. Doch mit ihrer größeren Stirnfläche verschlechtert sich die Aerodynamik von SUV. Ihr klobiges Design erhöht so Verbrauchswerte und CO2-Emissionen.
Die Rolle der Aerodynamik
Mitentscheidend für den Fahrzeug-Verbrauch ist die Aerodynamik. Ein windschlüpfiges Design kann Autos deutlich sparsamer machen. Die Hersteller investieren viel Geld, um die Aerodynamik ihrer Modelle zu verbessern. So avancierte der Audi 100 (C3) vor 40 Jahren mit einem Luftwiderstandsbeiwert von 0,30 cw zur strömungsgünstigsten Serienlimousine seiner Zeit. Dafür sorgten bündig eingefasste Fenster, eine stark geneigte Front- und Heckscheibe sowie aerodynamisch optimierte Spoiler und Außenspiegel. Noch einen drauf setzte Opel 1989 mit dem Calibra. Mit einem Rekord-Wert von 0,26 cw durfte sich das fesche Sportcoupé „Aerodynamik-Weltmeister“ nennen.
Heute leisten sich die Hersteller moderne Windkanal-Zentren. Dort können neue Modelle bei Windgeschwindigkeiten bis 250 km/h getestet und anschließend so optimiert werden, dass Luftwiderstände und damit Kraftstoffverbräuche und Emissionen sinken. Das Problem: Die Aerodynamik eines Fahrzeugs hängt nicht allein vom cw-Wert ab, sondern auch von der sogenannten Stirnfläche (A). Aus beiden Werten ergibt sich wiederum der für die Aerodynamik entscheidende Luftwiderstands-Wert. Und der hat sich bei vielen Automodellen in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Schuld ist vor allem die SUV-Mode, wie die Aerodynamikwerte populärer Volkswagen-Modelle zeigen.
Modell | cw-Wert | Stirnfläche (A) | Luftwiderstand |
Golf 8 | 0,27 | 2,24 | 0,60 |
T-Roc | 0,33 | 2,37 | 0,78 |
Tiguan | 0,32 | 2,56 | 0,82 |
Touareg | 0,32 | 2,84 | 0,91 |
Fahrzeuge mit hoher Sitzposition mögen komfortabel sein, doch die oft wuchtigen Vehikel mit der Front einer Bretterwand haben einen entscheidenden Nachteil: Wegen ihrer Höhe ist die Stirnfläche deutlich größer als bei der klassischen Limousine oder beim Kombi. Bei SUV nehmen durch die größere Stirnfläche die auf die Fahrzeuge wirkenden Widerstandskräfte zu. Das lässt sich durch verbesserte cw-Werte nur bedingt ausgleichen, denn steigendes Tempo wirkt sich exponentiell aus. Spritverbrauch und CO2-Ausstoß erhöhen sich.
Fotos: Volkswagen
Es ist, als ob sich die deutsche Automobilindustrie der olympischen Idee verschrieben hätte – höher, schneller, weiter, im Fall der Autos – breiter.“
Spirale dreht sich immer weiter
„Es ist, als ob sich die deutsche Automobilindustrie der olympischen Idee verschrieben hätte – höher, schneller, weiter – im Fall der Autos: breiter“, konstatiert Oliver Schwedes, Leiter des Fachgebiets Integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin. „Nur ist es nicht das, was in der Stadt- und Verkehrsplanung gegenwärtig und künftig notwendig ist – nämlich kleine, leichte, sparsame und vor allem auch flächensparende Modelle zu bauen.“ In ihrer im November 2022 vorgestellten Studie „Autos und Stadtraum“ beschreiben die Forscher die Fehlentwicklungen in der Autoindustrie und deren umweltfeindliche und sozial ungerechte Auswirkungen auf die Nutzung des öffentlichen städtischen Raums. Danach waren satte 43 Prozent der neu zugelassenen Pkw 2019 großvolumig. Jeder fünfte davon war ein SUV und jeder zehnte ein Geländewagen. Nur ein Fünftel stellten Klein- oder Kompaktwagen. Besonders beeindruckend wirkt der Größenwahn im historischen Rückblick: So wuchs die durchschnittliche Pkw-Länge laut Studie seit 1950 um 60 Prozent auf aktuell bis zu 6,80 Meter. Bei der Breite wuchsen Autos bis über 2,10 Meter mit Außenspiegel an – eine Steigerung um fast 35 Prozent.
Es scheint absurd: Obwohl die Städte unter Dauerstau und enormem Platzmangel leiden, leisten sich die Deutschen immer fettere Fahrzeuge. Denn neben der Umweltbelastung nehmen große Autos den Menschen massig Lebensraum weg, auch und insbesondere denen, die gar kein Auto besitzen. Und das sind gar nicht wenige: In Berlin hat fast die Hälfte der Haushalte gar keinen privaten Pkw. Trotzdem stieg die Zahl der zugelassenen Pkw auf über 1,2 Millionen. Bundesweit geht der Trend inzwischen gar zum Drittwagen.
Dadurch mehren sich die Konflikte, warnen die TU-Wissenschaftler in ihrer Studie „Autos und Stadtraum“. Dass Autofahrende die Inbesitznahme des öffentlichen Raums als ihr „Grundrecht“ einforderten – auch in Form von Parkplätzen und Stellflächen – stehe immer vehementer infrage, meint Verkehrsforscher Oliver Schwedes. Die Dominanz des Autos gegenüber ÖPNV, zu Fuß Gehenden und Radfahrenden werde von vielen Menschen als ungerecht empfunden, die Forderung nach einer gerechten Aufteilung des Stadtraums lauter. Notwendig sei daher ein „Paradigmenwechsel“ in der Verkehrspolitik, der diese nicht mehr einseitig aus dem Blickwinkel des motorisierten Individualverkehrs denke.
Immer größer, immer schwerer. Das passt nicht in eine Zeit, in der wir über Energie- und Flächensparen, Klima- und Ressourcenschutz diskutieren.“
Maßnahmen könnten regulierend wirken
Doch wie bekommt man wieder kleinere und leichtere Autos auf die Straßen? Indem das Fahren (und Parken) von großen Pkw verteuert wird? Die hohen Sprit- und Strompreise alleine scheinen den SUV-Trend nicht zu bremsen. Dafür werden die Kommunen allmählich aktiv, in Tübingen etwa müssen SUV-Fahrer deutlich mehr für ihren Parkausweis zahlen. Auch in anderen Städten werden Gebühren für das Anwohnerparken teils deutlich erhöht. Sogar der Deutsche Städtetag brachte höhere Parkgebühren für SUV und andere große Wagen ins Spiel. „Der Trend bei den Autos kennt offenbar nur eine Richtung: immer größer, immer schwerer“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. „Das passt nicht in eine Zeit, in der wir über Energie- und Flächensparen, Klima- und Ressourcenschutz diskutieren.“ Für mehr Lebensqualität in den Städten brauche es weniger und nicht noch größere Autos.
Eine Reform des Dienstwagenprivilegs könnte den Kauf von schweren und PS-starken Autos finanziell unattraktiver machen. So ist der Anteil von SUV und Oberklassewagen bei Dienstwagen weitaus größer als bei Privat-Pkw. Umweltschützer fordern daher, die Dienstwagen-Regel um eine Umwelt-Komponente zu ergänzen: Hoher CO2-Ausstoß würde dann höher besteuert werden.
Zudem könnten Anreize für Autokäufer helfen, damit diese sich für kleinere, effizientere Modelle entscheiden anstatt für große und schwere CO2-Schleudern. Diskutiert wird etwa eine Bonus-Malus-Regelung bei der Kfz-Steuer, die sich an der Höhe der Emissionen orientiert. In Frankreich, den Niederlanden und anderen europäischen Ländern ist diese Regelung bereits Praxis. Eine stärkere Ausrichtung der Kfz-Steuer am CO2-Ausstoß sei ein zentraler Klimaschutzbeitrag, konstatiert das Umweltbundesamt.
Doch gegenwärtig ist die Steuer für schwere und umweltschädlichere Fahrzeuge in Deutschland im internationalen Vergleich gering. In der globalen Klimakrise führt dies zu dem bemerkenswerten Trend, dass Hersteller ihre Klein- und Kompaktwagenmodelle lieber auslaufen lassen. Ford beendet im Juni 2023 nach fast 50 Jahren die Produktion des Fiesta, auch die kompakte Mercedes A-Klasse steht vor dem Ende. Statt auf kompakte Volumenmodelle setzt der Hersteller lieber auf Luxusmodelle mit hohen Gewinnmargen. In China und Indien, inzwischen enorm wichtige Einzelmärkte, finden diese reißenden Absatz.
Hohe Sitzposition, viel Komfort und massig Blech: Das schätzen eben nicht nur deutsche Autofahrer an den beliebten SUV. Trotzdem stellt sich die Frage, was am Ende wichtiger ist: Das individuelle Sicherheits- und Überlegenheitsgefühl – oder die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen?
Klimasünder SUV
Bequemer Einstieg, gute Übersicht: SUV sind enorm beliebt, und das nicht nur auf deutschen Straßen. Die Stadtgeländewagen boomen weltweit: 330 Millionen SUV sollen inzwischen unterwegs sein. Doch der Wunsch nach mehr Blech hat dramatische Folgen: Weil SUV oft schwer und damit weniger sparsam sind, verbrauchen sie rund 20 Prozent mehr Treibstoff als durchschnittliche Mittelklassewagen: Das steigert die Nachfrage nach Öl und treibt die CO2-Emissionen nach oben, wie die Internationale Energieagentur (IEA) errechnete. Danach stoßen SUV fast eine Milliarde Tonnen CO2 aus. Das ist etwa so viel wie die Emissionen der Industriestaaten Großbritannien und Deutschland zusammen.
Insgesamt machten SUV im Jahr 2022 rund 46 Prozent der weltweiten Pkw-Verkäufe aus, wobei ein deutliches Wachstum insbesondere in den USA, in Indien und in Europa zu verzeichnen war. Zwischen 2021 und 2022 blieb der Ölverbrauch konventioneller Autos (ohne SUV) in etwa gleich, während der Ölverbrauch von SUV weltweit um 500.000 Barrel pro Tag (1 Barrel = 159 Liter) anstieg. Das machte laut IEA ein Drittel des gesamten Wachstums der Ölnachfrage aus.
Titelfoto: BMW