29.07.2024 Haiko Tobias Prengel

Jetzt kommen die Miniatur-Autos

Braucht es ein Zweitonnen-SUV, um mobil zu sein? Microcars wie der Ari 902 zeigen, dass Elektromobiliät effizient und günstig sein kann – wenn man Abstriche beim Komfort macht.


Knuffig sieht es aus, das E-Auto zum Discounter-Preis. Und funktional ist es auch: Der Ari 902 „Pure“ bietet immerhin vier Räder, eine selbsttragende Karosserie und einen Wechselstrom-Motor mit sage und schreibe 20 PS. Manche Rasenmäher haben heutzutage mehr Power unter der Haube, doch reicht das auch für ein vollwertiges Auto?

Der Automobilindustrie wird ja oft und mit einigem Recht vorgeworfen, zu große Fahrzeuge zu bauen, mit übertrieben viel Leistung. Der 902 zeigt, dass es auch andersherum geht. Das Modell des aufstrebenden sächsischen Anbieters Ari Motors ist ein sogenanntes LEV (Elektrisches Leichtfahrzeug).

Diese Fahrzeuggattung liegt im Trend. Ob Microlino, Elaris Pio oder Citroën Ami: Auf der Suche nach neuen Mobilitätslösungen setzen Hersteller neuerdings verstärkt auf sogenannte Microcars, um insbesondere in den überfüllten Großstädten eine Alternative zu den viel zu großen Autos zu schaffen, in denen oft nur eine Person sitzt. Im Zentrum steht dabei die Frage: Braucht es immer ein zwei Tonnen schweres SUV, um individuell mobil zu sein?

Keineswegs, zeigt der Ari 902. Den smarten Stadtflitzer testeten wir eine Woche lang in der Berliner Innenstadt. Wie in anderen Großstädten auch ist dort Platzmangel ein gravierendes Problem. Der Ari 902 fällt da mit seinen 2,95 Metern Länge kaum auf, könnte man denken. Doch das Gegenteil ist der Fall. Weil die Mehrheit im Straßenbild längst an wuchtige SUV gewöhnt ist, reagieren Passanten vielmehr überrascht beim Anblick des knallroten Mini-Gefährts. „Der ist ja voll süß“, sagt eine Frau lächelnd im Vorbeigehen. Andere Autofahrer strecken an der Ampel den Daumen hoch. Dieses E-Autochen löst echte Sympathien aus.

 

1,80 Meter ist der zweisitzige rote Ari 902 kürzer als das derzeit beliebteste E-Auto in Deutschland, der Tesla Model Y. Foto: Haiko Tobias Prengel

Rustikal dagegen: das Fahrgefühl. Dabei ist beim Ari 902 der Namenszusatz „Pure“ Programm. Dieses Auto ist auf das Wesentliche reduziert. Um den Kampfpreis von 16.648 Euro zu schaffen – eine Preisregion, der als herkömmlicher E-Pkw lediglich der Dacia Spring nahe kommt –, müssen eben zwei hart gepolsterte Stoffsitze ausreichen. Raumgefühl und Beinfreiheit sind dagegen für ein Mini-Auto prima. Selbst mit 1,87 Meter Körpergröße stieß der Fahrer nicht mit dem Kopf unsanft an die Decke. Eine Rückbank gibt es nicht, dafür einen ganz ordentlichen Kofferraum. Die Außenspiegel sind nur manuell verstellbar, der „Touchscreen“ hat in etwa so viele Funktionen wie ein Tasten-Handy aus den 1990ern.

 

Das Raumgefühl auf den beiden Sitzplätzen ist für ein weniger als drei Meter kurzes Auto noch erstaunlich komfortabel. Foto: Haiko Tobias Prengel
Das spartanische Cockpit beschränkt sich weitgehend auf das, was zum Fahren unbedingt nötig ist. Foto: Haiko Tobias Prengel

Auf das Wesentliche reduziertes Fahren

Wenn „Pure“ sich dagegen aufs Fahren bezieht, dann macht der Kleine seine Sache gut. Denn von A nach B kommt man mit dem Ari 902 zuverlässig, wenn auch etwas holprig. Mit einem Rädchen in der Mittelkonsole schaltet man in den Fahrmodus D, danach muss man das Strompedal kräftig treten. Etwas behäbig kommt der Mini-Stromer in die Gänge. Dann aber macht sich ein lautes Turbinengeräusch bemerkbar und das Wägelchen beschleunigt erstaunlich fix bis auf 50 km/h.

Ja, mit dem Kleinen dürfen wir sogar auf die Stadtautobahn. Bis 90 km/h rennt das Microcar. Gefühlt ist die Geschwindigkeit dabei doppelt so hoch. 743 Kilogramm wiegt der Ari 902 leer inklusive Batterie. Es liegt auf der Hand, dass da nicht viel in Fahrwerk, Federung und Außendämmung investiert worden sein kann. Beim Thema Sicherheit werde dagegen nicht gespart, versichert Ari Motors: Zwar wird der Ari 902 in China gebaut und von Ari Motors nur modifiziert (etwa mit einer anderen Ladesteckdose). Doch jedes Auto, das auf den europäischen Markt komme, müsse Crashtests absolvieren, sagt Thomas Kuwatsch von Ari Motors. So hätten die Fahrzeuge eine hochfeste Fahrsicherheitszelle. Auch sei der 902 serienmäßig mit ABS und ESP ausgerüstet. Airbags oder Fahrassistenten wie Spurhaltewarner oder Verkehrszeichen-Erkennung seien gegen Aufpreis erhältlich.
 

Empfehlenswert fürs Gepäckabteil wären ein Trenngitter (345 Euro) oder ein Sichtschutzrollo (189 Euro). Foto: Haiko Tobias Prengel
Für 891 Euro Aufpreis lassen sich 300 Kilogramm gebremst an den Haken nehmen. Foto: Haiko Tobias Prengel

Ohnehin will der Elektro-Zwerg keinem Tesla Konkurrenz machen. Die Zielgruppe seien „pragmatisch denkende Menschen“, die möglichst günstig Elektroauto fahren wollten, erklärt Thomas Kuwatsch. 2016 wurde Ari Motors aus dem sächsischen Borna gegründet und ist heute auf Leichtelektromobile vor allem im Nutzfahrzeugsegment spezialisiert: für Handwerker, Liefer- und Pflegedienste oder auch Kommunen.

Es sei doch „Irrsinn“, dass die Leute nur auf E-Autos mit hunderten Kilometern Reichweite schielten, meint Kuwatsch. Der Durchschnittsdeutsche pendele täglich 35 Kilometer. Dafür soll der 902 mit seinen mindestens 110 Kilometern Reichweite locker ausreichen. Aufgeladen wird dann am Arbeitsplatz oder zu Hause an der Steckdose über Nacht.
 

Daten Ari 902 Pure

  • Leistung: 15 kW/20 PS
  • Antrieb: Front
  • Höchstgeschwindigkeit: 90 km/h
  • Normverbrauch: 9,4 kWh/100 km
  • CO2-Ausstoß Norm: 0 g/km*
  • L x B x H: 2,95 x 1,49/k. A. x 1,52 m
  • Wendekreis: 7,9 m
  • Sitzplätze: 2
  • Laderaummaße: 0,85 x 1,05 x 1,10 m
  • Leergewicht: 743 kg (inkl. Akku)
  • Zuladung: 190 kg
  • Akku-Kapazität: 9,5 kWh (10,35 kWh: 1.654 Euro; 18 kWh: 2.844 Euro)
  • Ladespannung: 230 Volt
  • Grundpreis: 16.648 Euro

* entspricht 41 g CO2/km gemäß dt. Strommix 2022 geschätzt lt. Umweltbundesamt: 434 g CO2/kWh

Kleine Vehikel gegen den Trend

Das Problem: Bislang hatten Hersteller von E-Leichtfahrzeugen hierzulande keine Lobby. Die etablierten Hersteller setzen auf größere Modelle, weil die Gewinnmargen dort viel höher sind. Zuletzt zeigte das Ende des Smart, wie ein geniales Fahrzeugkonzept jäh scheiterte: Nach 25 Jahren ließ Mercedes-Benz die Produktion des Smart Fortwo auslaufen. Der 2,50 Meter kurze Zweisitzer wurde einst als Pionier der Mobilitätswende gefeiert, entpuppte sich für den Hersteller dann aber als Milliardengrab.

Dabei macht die Klimakrise effiziente, sparsame Autos dringend notwendig. Besonders absurd: Während die Politik mit der Umweltprämie selbst tonnenschwere Luxus-SUV subventionierte, waren ausgerechnet Leichtelektromobile der Klasse L7e nicht für die sogenannte Umweltprämie qualifiziert.

Um diese Schieflage zu ändern, haben sich die L7e-Hersteller inzwischen zu einer Microcar-Koalition zusammengeschlossen. Sie soll die Mini-Stromer stärker in den Fokus von Politik und Verbrauchern rücken – als günstige und zudem ökologische Alternative zu den „Zwei-Tonnen-Autos“, wie die Koalitionsgründer erklärten.

Das Potenzial scheint enorm. Mehr als 40 Prozent weniger Emissionen seien mit elektrischen Leichtfahrzeugen im Straßenverkehr machbar, ergab eine Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Danach könnte die Hälfte der in Deutschland mit Pkw gefahrenen Kilometer „theoretisch“ auch mit LEV bewältigt werden. Dazu kommt der Vorteil beim Flächenverbrauch, die Schmalspur-Microcars beanspruchen viel weniger öffentlichen Raum. Den Microlino (siehe unten) etwa haben Städte wie Madrid oder Zürich bereits in die Carsharing-Flotten aufgenommen.
 

Trotz der sehr kurzen Fronthaube geht es darunter noch ziemlich luftig zu. Foto: Haiko Tobias Prengel
110 Kilometer Reichweite soll der kleinste Akku bieten. Im sommerlichen Stadtverkehr schaffte unser Autor gerade mal gut 70. Foto: Haiko Tobias Prengel

Eine Frage der eigenen Schmerzgrenze

Doch das Können ist das Eine, oft scheitert es am Wollen. Am Steuer eines Ari 902 erntet man nicht nur Anerkennung. Zum Fahralltag gehören auch mitleidige Blicke anderer Autofahrer, die in ihren großen, komfortablen Autos sitzen – und an der Ampel ziemlich ungläubig auf diesen orthopädischen Schuh auf vier Rädern hinabsehen. Ebenfalls zur Realität gehört, dass man in den Hauptverkehrszeiten auch mit einem handlichen Microcar im Stau steht.

Immerhin bietet der Ari 902 zum Zeitvertreib MP4-Player und Bluetooth, gegen Aufpreis sogar eine Klimaanlage. Serienmäßig ist indes eine Rückfahrkamera – obwohl man die eigentlich am wenigsten braucht bei diesem kinderleicht einzuparkenden Mini-Vehikel.

Der größte Trumpf der Microcars aber sind ihre geringen Anschaffungs- und Unterhaltskosten. Der Ari 902 begnügt sich laut Datenblatt auf 100 Kilometer mit 9,4 kWh Stromverbrauch. Damit lägen die Betriebskosten für einen Durchschnittspendler pro Tag äußerst niedrig. Die bezahlbaren E-Autos für Normalverdiener, sie sind also schon zu haben. Die Frage ist nur, wie man den Begriff „Auto“ für sich und seine Bedürfnisse definiert.        

 

Alternativen – diese Microcars gibt es noch

Ari ist nicht der einzige Anbieter von Microcars. Auch andere, teils weniger bekannte, teils namhafte Hersteller mischen hier mit. Wir zeigen eine kleine Auswahl ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
 

 

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Foto: Microlino

Microlino

Der Microlino ist ein elektrischer Zweisitzer. Mit seiner vorne angeschlagenen Tür und seiner kugeligen Form erinnert er an die BMW Isetta. Ja, auch in den 1950er-Jahren waren Kleinstmobile schon einmal populär. Der Microlino fährt bis zu 90 km/h und kommt laut Hersteller bis zu 228 Kilometer mit einer Akkuladung. Interessant: Gebaut wird der Kleine in Italien, 80 Prozent der Bauteile werden in Europa beschafft. Preis: ab 19.490 Euro.

Foto: Avantier

Centro Avantier C

Einparken sei nicht die große Stärke vieler Autofahrer: „Gut dass es den Cenntro Avantier C gibt“, wirbt Heidtmann Mobility, die den kaum drei Meter langen Zweisitzer aus China vertreiben. Der Stadtflitzer hat eine Reichweite von 182 Kilometern, das Höchsttempo beträgt 90 km/h. Mit einem Gewicht von 1.074 Kilo ist er unter den Microcars recht schwer. Dafür ist er mit Fahrerairbag, ESP und anderen Sicherheitsfeatures ausgestattet. Preis: 14.500 Euro.

Foto: Smart

Smart EQ Fortwo

Der Smart gilt als Pionier der handlichen Microcars, seit einigen Jahren gibt es ihn auch elektrisch. Zwar hat Mercedes-Benz die Produktion eingestellt, auf dem Gebrauchtwagenmarkt finden sich aber zahlreiche, noch sehr junge Exemplare. Aus diesem Grund sei er hier erwähnt. Mit über 80 PS ist der Smart EQ Fortwo sehr flott motorisiert, auch die Komfort- und Sicherheitsausstattung ist vorbildlich für die Fahrzeugklasse. Dafür ist der Stromverbrauch mit 15 kWh und mehr recht üppig. Preis: gebraucht ab circa 7.500 Euro.

Foto: Elaris

Elaris DYO

Elaris klingt nach einer neuen Marke aus China, tatsächlich sitzt der Hersteller in Bad Dürkheim in Rheinland-Pfalz. Sein Microcar DYO bewirbt Elaris mit „Einfach smart“ – damit ist klar, wem man Konkurrenz machen will. Der DYO bietet 275 Kilometer Reichweite und ein Kofferraumvolumen von 229 Litern. Das reicht für Einkäufe und Kurztrips locker aus. Die Top-Speed liegt sogar bei 110 km/h, ganz schön schnell für einen Stadtflitzer. Sportlich ist auch der Preis: 24.900 Euro.

Foto: Silence

Silence S04

Auch Nissan steigt in die Mikromobilität ein, die Japaner vertreiben das vierrädrige Nanocar Silence S04. Der 85 km/h schnelle Mini-Stromer ist nur 2,28 Meter lang. Der Clou: Die Akkus lassen sich herausnehmen und in der Wohnung aufladen. So wird der Silence auch für Stadtbewohner ohne eigene Garage beziehungsweise Wallbox interessant. Erhältlich sein soll das Nanocar ab September. Preis: ab 16.520 Euro (L7e-Version).

Titelfoto: Haiko Tobias Prengel


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