Fahrrad: Was gegen eine Kennzeichenpflicht spricht
Die Debatte um verpflichtende Kennzeichen an Fahrrädern ist nicht neu. Grund dafür sind Verkehrsdelikte von Radfahrenden, die unerkannt das Weite suchen und nicht belangt werden können. Doch es gibt viele Gründe gegen die obligatorische Kennzeichnung.
In manchen Fällen halten sich einzelne Radfahrende nicht an die Verkehrsregeln. Schnell wird dann von „den Radl-Rambos“ gesprochen, die rücksichtslos durch die Straßen rasen und sich nicht um Regeln kümmern. Als Abhilfe für dieses Verhalten wird dann häufig nach einem Kennzeichen gerufen. Der Gedanke: Die Verkehrssünder können leichter nachverfolgt und überführt werden – und fühlen sich im Umkehrschluss den gültigen Verkehrsregeln stärker verpflichtet. Auch steigende Unfallzahlen durch zunehmenden Radverkehr und damit häufigere Schadenersatzforderungen werden als Begründung angeführt. Doch in der Realität hat sich eine Kennzeichenpflicht für Fahrräder bislang weltweit nicht durchsetzen können.
Unverhältnismäßige Bürokratie
Auf der Suche nach Gründen lohnt ein Blick in die Schweiz: Bis 2011 forderte sie – als einziges Land der Welt – ein Versicherungskennzeichen, die Velovignette. „Damals durften nur Fahrräder und E-Bikes mit gültigem Versicherungsschutz auf die Straßen. Dieser musste jährlich erneuert werden und war als farbiger Aufkleber am Rad angebracht“, erläutert Anja Knaus vom schweizerischen Fahrradhersteller Flyer. Das Kennzeichen wurde eingestellt, weil viele Radfahrende bereits eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatten, die auch Fremdschäden bei Radunfällen abdeckt, und der Bürokratieaufwand extrem kostspielig war.
„Ähnlich würde es sich auch in Deutschland verhalten. Mit geschätzt 82 Millionen Fahrrädern, die jetzt registriert werden müssten, müsste vermutlich eine eigene Behörde geschaffen werden“, sagt Reiner Kolberg vom Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) dazu. Und wenn das Rad etwa auf Flohmärkten oder im Internet verkauft würde, stünde der bürokratische Vorgang des Ummeldens an. Und das bei Werten der gebrauchten Räder von teils unter 100 Euro.
Rückschritte für Verkehrswende
Sogar die Frage der Beschaffenheit und Befestigung des Kennzeichens spricht gegen eine Pflicht. „Dieser Punkt kann auch aufgrund der Fülle an unterschiedlichen Rädern nicht einheitlich geklärt werden“, sagt Alexander Kraft vom Spezialradhersteller HP Velotechnik. Hinzu kommt, dass Fahrräder einen breiten Anwendungsbereich haben. Die spezielle Fahrradzulassung müsste also auch vorab klären, ob beispielsweise Mountainbikes und Rennräder als Sportgeräte unter dieselbe Regelung fallen, die auch für Lastenfahrräder gilt. Mountainbikes etwa werden häufig abseits des Asphalts gefahren, wo Fahrzeuge mit Kennzeichen, Stand heute, auf vielen Wegen verboten sind und es somit einer Neuregelung bei der Waldnutzung bedürfen würde.
Experten befürchten Einstiegshürden bei der Fahrradnutzung und Rückschritte für die Verkehrswende, wie die S-Pedelecs bis 45 km/h beispielhaft zeigen. Die gelten gesetzlich als Kleinkraftrad und brauchen ein Versicherungskennzeichen. Ihr Marktanteil ist in Deutschland äußerst gering, was auch daran liegt, dass sie nicht auf Radwegen fahren dürfen. Anders in der Schweiz, wo sie auf Radwegen zugelassen sind und sich die Fahrzeuge einer höheren Nachfrage erfreuen.
Noch mehr juristische Hürden
Bei den meisten Verkehrsvergehen in Deutschland ist zudem der Fahrer und nicht der Fahrzeughalter in der rechtlichen Verantwortung. Um Verkehrssünder also zielgenau zu identifizieren, müsste zusätzlich auch eine Art Fahrerlaubnis für Radfahrende eingeführt werden. 13 Millionen Menschen, die in Deutschland keinen Kfz-Führerschein besitzen, wären davon betroffen. Darunter fallen auch Kinder. Wie kann man sicherstellen, dass diese weiterhin Rad fahren dürfen, obwohl sie keine Versicherung oder eine Fahrerlaubnis abschließen können? Brauchen sie dann ein Kennzeichen – oder wird die jüngere Zielgruppe vom Radfahren gezielt ausgeschlossen? Das sind Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden müssen. Ebenso, ob die Kennzeichen eine Beleuchtung wie bei den S-Pedelecs brauchen.
Privathaftpflicht sollte Standard sein
Auch wenn es auf den ersten Blick überlegenswert erscheinen mag, sprechen also viele gute Gründe gegen die Einführung einer Kennzeichenpflicht für Drahtesel. Allerdings sollten alle Radfahrenden vorsorgen, wenn es um mögliche Unfälle und damit um die Beschädigung des Eigentums Dritter oder um Personenschäden geht. Denn wer verantwortlich ist für die Entstehung eines Schadens, muss alle Kosten in voller Höhe selbst tragen.
Das bedeutet auch, dass Fahrradfahrende ihr Haftungsrisiko eigenverantwortlich decken müssen. Für alle Lebensbereiche gelingt das durch den Abschluss einer privaten Haftpflichtversicherung, bei der die Nutzung von Fahrrädern meist eingeschlossen ist. Über eine Privathaftpflicht-Versicherung verfügen in Deutschland laut Statista ungefähr 48 Millionen Personen über 14 Jahren. Sie ist nach Meinung des ARCD allen Radfahrenden dringend anzuraten.
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