26.07.2024 Thomas Schreiner

Forschen an der Fahrradbremse

Fahrräder spielen eine immer wichtigere Rolle im Mobilitätsmix – und damit auch beim ARCD. In einem neuen Forschungsprojekt an der Hochschule Pforzheim wollen Wissenschaftler herausfinden, wie sich die Sicherheit beim Bremsen verbessern lässt.


Das Fahrrad bewegt nicht nur die Menschen im ARCD und auch außerhalb unseres Clubs. Es hat selbst eine bewegte Geschichte hinter und eine aussichtsreiche Zukunft vor sich, wie Dr.-Ing. Gesa Rolink Mitte April bei einer Versammlung des ARCD-Ortsclubs Aller-Weser erzählt hat. In einem spannenden Vortrag erläuterte die promovierte Ingenieurin und Tochter des OC-Vorsitzenden Georg Rolink die Vorteile des Fahrrads als individuelles Verkehrsmittel. Und sie lenkte den Blick auf technische Meilensteine. Angefangen bei Karl von Drais, der im Jahr 1817 die erste Laufmaschine erdachte und so den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte legte. Neben der Evolution des Fahrrads im 19. Jahrhundert zeigte Gesa Rolink beim OC-Abend auch die Bandbreite heute gängiger Fahrradtypen und Rahmen, Materialien, Antriebstechnologien und Sicherheitstechnik. Wer den Vortrag beim OC Aller-Weser gehört hat weiß, dass der Fortschritt beim Fahrrad nie aufhört.

Wer sicher fahren will, braucht gute Bremsen

Einer, der an der technologischen Weiterentwicklung von Fahrrädern arbeitet, ist Prof. Jürgen Wrede vom Institute for Smart Bicycle Technology (ISBT) an der Hochschule Pforzheim. Der Leiter des ISBT und ARCD-Vizepräsident war unter anderem an der Entwicklung der ABS-Bremse für Fahrräder beteiligt. Seit Mai befasst er sich in einem Forschungsprojekt mit kombinierten Bremssystemen für Fahrräder und Pedelecs.

Vor allem die elektrisch unterstützten Velos erleben einen regelrechten Boom. Einer aktuellen Civey-Umfrage zufolge besitzt mittlerweile jeder vierte Erwachsene in Deutschland ein Elektrofahrrad. Seit 2020 stieg der Anteil demnach um knapp zehn auf nun 24,7 Prozent. Keine Frage: Der Pedelec-Anteil wird weiter zunehmen. Mancher Hersteller wie zum Beispiel Riese & Müller setzt schon komplett auf elektrifizierte Fahrräder.

Ein Fahrrad dieses Herstellers konnte Prof. Wrede nun für sein Forschungsprojekt „KombiABS“ beschaffen – finanziell unterstützt durch eine Spende der gemeinnützigen ARCD Verkehrssicherheits-GmbH. Das S-Pedelec – ein Riese & Müller Charger4 GT Touring HS, ausgestattet mit hydraulischen Magura-Scheibenbremsen und ABS von Bosch – soll nun zum Versuchsträger aufgebaut werden. „Wir wollen ein möglichst universelles Rad“, hatte Prof. Wrede im Vorfeld betont. Mit dem Charger4 wurde ein solches gefunden. Es eignet sich für den täglichen Pendelverkehr ebenso wie für ausgedehnte Wochenendtouren mit abenteuerlichem Touch. Genau die richtige Grundlage, denn Prof. Wrede hat mit seinem Forschungsvorhaben nicht Extremsportler, sondern Alltagsradler im Blick.

Die würden beim Bremsen auf Fahrrädern mit Kettenschaltung erfahrungsgemäß überwiegend nur den rechten Bremshebel benutzen, sagt Prof Wrede. Verschleiß- und Reparaturdaten wiesen darauf hin. Das Problem dabei: Der rechte Hebel wirkt nur auf das Hinterrad. „Beim Bremsen verlagert sich durch den hohen Schwerpunkt die Radlast stark auf das Vorderrad“, sagt der Institutsleiter des ISBT. „Dies bedeutet, dass sich beim Bremsen mit dem Hinterrad nur geringe Verzögerungen erreichen lassen.“ Die Folge seien verlängerte Bremswege, was gerade bei den höheren Geschwindigkeiten motorunterstützter Räder ein sicherheitsrelevanter Faktor ist.


Beim Bremsen verlagert sich durch den hohen Schwerpunkt die Radlast stark auf das Vorderrad.“

– Prof. Jürgen Wrede, Leiter Institute for Smart Bicycle Technology, Hochschule Pforzheim


Prof. Jürgen Wrede (2. v. r.) präsentiert mit seinem ISBT-Kollegen Prof. Stefan Hillenbrand (Mitte) und Studierenden der Hochschule Pforzheim das von der ARCD Verkehrssicherheits-GmbH geförderte Pedelec von Riese & Müller, das zum Versuchsträger ausgebaut werden soll. Foto: Hochschule Pforzheim

Wissenschaftliche Forschung am Alltagsproblem

An der Fakultät für Technik der Hochschule Pforzheim forscht Prof. Wrede nun am ISBT daran, die Bremswirkung zu optimieren. Etliche studentische Projekt- und Abschlussarbeiten sind daran angegliedert. Den Anfang macht eine Projektgruppe aus dem Masterstudiengang Mechatronische Systementwicklung mit Computersimulationen von Verzögerungen und Bremswegen in unterschiedlichen Szenarien. Neben der ARCD Verkehrssicherheits-GmbH und den drei erwähnten Partnern aus der Industrie ist auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) eingebunden. Der DVR hat die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen und bringt seine Expertise über einen dafür eingerichteten Beirat aus Mitgliedern der AG Fahrrad- und S-Pedelec-Sicherheit im DVR-Vorstandsausschuss Fahrzeugtechnik ein.

Insbesondere soll die Frage nach dem Nutzen eines kombinierten Bremssystems bei Fahrrädern, Pedelecs und S-Pedelecs für die Verkehrssicherheit wissenschaftlich vertieft werden. Bei einem Kombibremssystem werden über einen einzigen Bremshebel gleichzeitig beide Radbremsen bedient, um die Verzögerungsleistung zu optimieren. Alleine das ist schon technisch aufwendig zu realisieren. Dazu kommt die Frage, welche Verteilung der Bremskraft auf die beiden Räder die letztlich wirkungsvollste ist, ohne dass ein Blockieren eines Rades oder gar ein Überschlag droht.

Es gibt also viel zu tun für Prof. Wrede und die Forschenden am ISBT in Pforzheim. Und wer weiß, vielleicht erleben wir wie beim Pedelec-ABS bald auch in puncto Kombibremssystem, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse in die Entwicklung eines konkreten Produkts münden. Spätestens dann gäbe es wieder etwas zu erzählen über sicherheitsrelevante Fortschritte in der technologischen Entwicklung von Fahrrädern. Womöglich wieder während eines Vortrags bei einem der Ortsclubs des ARCD.

Titelfoto: Hochschule Pforzheim


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