18.12.2023 Bettina Glaser

Hintergrund: Autoreisezüge in Deutschland

Eigentlich müssten Autozüge mit dem Anstieg an Elektrofahrzeugen boomen, denn damit wäre das Thema Reichweitenangst bei Reisen vom Tisch. Auch Familien, Senioren, Oldtimer- und Motorradfahrer schätzen die Vorteile – sparen sie sich mit dieser nachhaltigen Art zu reisen doch viele anstrengende Straßenkilometer, schonen Nerven und Fahrzeug. Doch eine Änderung wirbelt das Angebot in Deutschland nun durcheinander.


Von Hamburg an den Faaker See sind es knapp 1.200 Kilometer – eine weite Anreise für Petra und Bernd Dietze und ihre dreizehn Mitreisenden. Schon zum dritten Mal besuchte das Hamburger Ehepaar mit seinem Motorrad im September im österreichischen Kärnten die European Bike Week, ein riesiges Treffen von Harley-Davidson-Fahrern. „Im ersten Jahr sind wir selbst mit den Motorrädern gefahren. Da mussten wir dann bei Regen durch die Berge. Das war nicht so schön“, erzählt Petra Dietze. Bei der zweiten und dritten Reise nach Faak wollten sie es entspannter haben: „Wir haben die Fahrt abgekürzt, indem wir mit dem Autozug fuhren“, sagt sie. 1.010 Autobahnkilometer oder 1.300 Landstraßenkilometer haben sie sich von Hamburg nach Innsbruck gespart. „Was das Schöne ist: Wir hatten so nur eine Übernachtung. Wenn wir mit dem Motorrad nach Faak runterfahren, müssen wir ungefähr drei Mal übernachten“, sagt sie. Die Reise mit dem Autozug verläuft so: Abends gegen 17.30 Uhr fährt Bernd Dietze das Motorrad auf den Zug, den Großteil der Anreise verschlafen die beiden im Liegewagen, bis sie am nächsten Morgen Innsbruck erreichen. „Eine ganz entspannte Anreise ist das“, schwärmt Dietze.


„Eine ganz entspannte Anreise ist das.“

– Petra Dietze, Autozug-Fahrgast


Petra und Bernd Dietze aus Hamburg nehmen für ihre Reisen an den Faaker See mit dem Motorrad gerne den Autoreisezug. Foto: Petra Dietze
Für die Dietzes startet der Urlaub schon mit dem Verladen der Motorräder in Hamburg. Foto: Petra Dietze

Die beiden Hamburger haben schon beide Anbieter auf der Strecke von Hamburg-Altona nach Innsbruck ausprobiert: die ÖBB und Train4you mit dem Urlaubs-Express. Die Hin- und Rückfahrt mit dem Autozug der ÖBB kostete die beiden für zwei Personen und ein Motorrad insgesamt um die 600 Euro. Die Fahrt mit dem Urlaubs-Express sei preislich ungefähr zehn Prozent teurer gewesen. Sie kommen zu dem Schluss: „Bei der ÖBB sind die Züge viel neuer, auch die Abteile. Urlaubs-Express machen wir auch, wenn wir keine andere Möglichkeit haben. Aber wenn wir die Möglichkeit haben, nehmen wir gerne die ÖBB.“

Gestrichene Verbindungen

Diese Wahlmöglichkeit wurde den begeisterten Autozugfahrern nun genommen. Im Dezember hat die ÖBB nämlich sämtliche Autozug-Verbindungen von Österreich nach Deutschland eingestellt. Dass Verbindungen gestrichen werden, ist nichts Neues in der Autozug-Geschichte. Einst gab es elf Verladebahnhöfe in Deutschland, 2007 waren es vier weniger – heute sind gerade noch vier Bahnhöfe übrig geblieben. Mit dem Wegfall der Autoreisezüge der Deutschen Bahn (mit Ausnahme des Sylt Shuttles) im Oktober 2016, kam in den deutschen Markt noch einmal ordentlich Bewegung. Bis vor Kurzem hielten die ÖBB und die beiden privaten Anbieter BTE und Train4you ein Angebot in Deutschland aufrecht.
 

Die Nachtzüge der ÖBB sind seit Dezember ohne Autotransportwagen zwischen Deutschland und Österreich unterwegs. Foto: ÖBB/Harald Eisenberger

„Die Autotransportwagen waren nur zu wenigen Zeiten (Ferien, Feiertage) sehr stark gebucht, sonst war die Nachfrage eher gering.“

– Bernhard Rieder, ÖBB-Pressesprecher


Doch warum streicht die ÖBB nun sämtliche Autozugverbindungen hierzulande? „Die Autotransportwagen waren nur zu wenigen Zeiten (Ferien, Feiertage) sehr stark gebucht, sonst war die Nachfrage eher gering“, erklärt ÖBB-Pressesprecher Bernhard Rieder die Entscheidung. Stattdessen setzt die ÖBB von Wien nach Hamburg nun neue „Nightjets“ ein. „Damit bieten wir deutlich mehr Kapazität für Nachtreisende. Mit insgesamt 14 Wagen sind wir auch an der maximalen Zuglänge angelangt. Wir haben uns bewusst entschieden, den Fokus auf mehr Komfort und Kapazität bei den Nachtzügen zu legen“, sagt Rieder. Mit Autotransportwagen im Schlepptau durften die Züge bislang nur höchstens mit 160 km/h rollen, die neuen Nightjets können hingegen 230 km/h fahren. Petra Dietze reagiert mit Unverständnis: „Ich bin entsetzt. Manchmal versteht man die Firmenpolitik nicht“, sagt sie. Gerade wegen der zunehmenden E-Autos müssten Autozüge doch in den Fokus rücken.

Auslastung des Angebots

Das Angebot ist in Deutschland so zwar geschrumpft, dennoch können Fahrgäste weiterhin mit dem BTE Autoreisezug und dem Urlaubs-Express (UEX) der Train4you Vertriebs GmbH reisen (Streckenüberblick am Ende des Artikels). Als einziger Anbieter internationaler Autoreisezüge von und nach Deutschland bietet Train4you nach einem Jahr Pause nun auch wieder Direktverbindungen von Hamburg und Düsseldorf nach Villach an. „Der Ausstieg der ÖBB aus dem deutschen Autoreisezugmarkt und die Einstellung der Eurowings-Flugverbindung nach Klagenfurt sind sicherlich kein Nachteil für uns“, stellt Eduard Bopp, Pressesprecher der Train4you Vertriebs GmbH, fest. Anders als ÖBB-Pressesprecher Rieder spricht Bopp von einer sehr stabilen Auslastung. „Wir haben uns mit dem Urlaubs-Express auf den Tourismus spezialisiert und passen unsere Verkehrstage jedes Jahr nach sehr genauer Analyse des Marktes sowie dem stetigen und sehr harmonischen Austausch mit unseren Kooperationspartnern entsprechend an“, sagt Bopp. „Damit sind wir als kleines mittelständisches Unternehmen sicherlich flexibler“, fügt er hinzu.
 

Überwiegend Urlauber buchen die Verbindungen des Urlaubs-Express und sparen damit viele Straßenkilometer. Auch Gepäck wie Fahrräder kann transportiert werden. Foto: Train4you Vertriebs GmbH
Oldtimerbesitzer nutzen Autozüge gerne, um ihre wertvollen Fahrzeuge zu schonen. Foto: Train4you Vertriebs GmbH

„Wir spüren aber auch, dass das Interesse an den UEX-Autoreisezügen auch deshalb wächst, weil viele Menschen sich für eine nachhaltige Anreise interessieren.“

– Eduard Bopp, Pressesprecher der Train4you Vertriebs GmbH


Die meisten der 20.000 Fahrgäste jährlich nutzen laut Bopp die Autoreisezüge für Urlaubsreisen. Schweizer würden gerne Züge von und nach Hamburg buchen, um von dort zum Beispiel weiter nach Skandinavien zu reisen. Zunehmend würden auch Gäste aus Bayern und Österreich die Strecke zwischen München und Hamburg nutzen. „Das Publikum ist dabei sehr gemischt: Viele Familien mit Kindern, aber auch Paare, Biker- und Oldtimergruppen“, berichtet Bopp. „Wir spüren aber auch, dass das Interesse an den UEX-Autoreisezügen auch deshalb wächst, weil viele Menschen sich für eine nachhaltige Anreise interessieren.“ Seit Januar 2022 hätten die Autoreisezüge rund elf Millionen Straßenkilometer ersetzt.

Autozüge als Randerscheinung

Verglichen mit 211.000 auf DB Autozüge verladene Autos und Motorräder im Jahr 2006 sind Autozüge in der Zwischenzeit eher zur Randerscheinung geworden. Doch woran liegt es? Bei Bewertungen im Internet ist von einem schlechten Preis-Leistungs-Verhältnis zu lesen. Spricht man Bopp auf diesen Vorwurf an, argumentiert er: „Wir sind ein privatwirtschaftliches mittelständisches Unternehmen und können Verluste nicht mit milliardenschweren Staatsbürgschaften decken wie Eisenbahnen im Bundeseigentum. Deshalb kalkulieren wir unsere Produkte entsprechend. Die Buchungszahlen sprechen aber schon dafür, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis angenommen wird. Die Fahrgäste ersparen sich beispielsweise bei einer Reise von Hamburg nach Villach rund 1.100 Kilometer und somit den Sprit, die Abnutzung ihres Fahrzeugs, eine Hotelübernachtung und Mautgebühren.“
 

In Helsinki verladen Einzelreisende, Familien und Gruppen ihre Autos, um von der finnischen Hauptstadt entspannt nach Lappland zu reisen. Fotos: Hanna Keskinen

Bei der Suche nach Antworten lohnt sich auch ein Blick nach Finnland. Hanna Keskinen aus Helsinki hat schon mehrfach den Autozug von VR genutzt, um mit Auto, Kind und Kegel in den Norden des Landes zu reisen. Tickets für die knapp zwölfstündige Fahrt für zwei Erwachsene und ein Kind mit Auto ins 900 Kilometer entfernte Rovaniemi in Lappland bekommt man schon für unter 100 Euro. Die Buchung auf Finnisch, Englisch oder Schwedisch ist unkompliziert. Anders als bei deutschen Anbietern reicht es, die ungefähren Maße des Fahrzeugs parat zu haben und zwischen verschiedenen Fahrzeuggrößen auszuwählen. Die Finnin erzählt, dass es im Norden Finnlands keine Autobahnen gibt und es zwölf bis vierzehn Stunden dauert, um dorthin zu reisen. Da sei es einfacher und komfortabler, den Autozug zu nehmen. Mira Linnamaa, Pressesprecherin von VR, sagt: „Autozüge werden in letzter Zeit immer beliebter. Verglichen mit vor der Corona-Pandemie ist deren Beliebtheit stark angestiegen.“ Viele Gäste – von Einzelreisenden über Familien bis hin zu Gruppen aus Finnland und der ganzen Welt – würden auf diese Art nach Lappland reisen, um dort ihre Freizeit zu verbringen. Keskinen erklärt ihre Beweggründe: „In Lappland braucht man oft das Auto und eines dort zu mieten ist ziemlich teuer. Außerdem ist es viel einfacher, mit Kindern und der Skiausrüstung den Zug zu nehmen. Und man ist nach der Fahrt ausgeschlafen.“

Neue Autoreisezuganlage in Hamburg

Zurück nach Deutschland: Die privaten Anbieter greifen auf die Bahnhöfe der Deutschen Bahn (DB) zurück. „Bei Streckensperrungen können wir nicht einfach auf Alternativbahnhöfe ausweichen, denn in Deutschland stehen uns nur die Autoverladungen in Hamburg-Altona, Düsseldorf Hauptbahnhof, Lörrach und München Ost zur Verfügung“, erzählt Urlaubs-Express-Pressesprecher Bopp von den Herausforderungen im Alltag. Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass die DB Verladestationen nicht einfach außer Betrieb nehmen darf.
 

Eine neue Autoreisezuganlage (Computerskizze) in Hamburg-Eidelstedt soll ab 2027 den Verladebahnhof in Hamburg-Altona ersetzen. Foto: DB Netz AG

Aktuelles Beispiel ist der Bahnhof in Hamburg-Altona: „Mit der Verlegung des Fernbahnhofes Altona zieht auch die Autoverladung nach Hamburg-Eidelstedt um, die Inbetriebnahme ist für 2027 geplant“, sagt eine Bahnsprecherin. Vorgesehen ist eine Autoreisezuganlage für die gleichzeitige Abfertigung von zwei Autoreisezügen mit jeweils maximal 80 Pkw. Ist der Neubau der Autoreisezuganlage in Hamburg also ein Zeichen dafür, dass auch langfristig Autoreisezüge durch Deutschland rollen? Wohl eher nicht, denn die DB ist verpflichtet, die Möglichkeit der Autoverladung weiter anzubieten: „Mit der Verlegung des Bahnhofs muss auch die Autoreisezuganlage als Bestandteil des jetzigen Bahnhofs in räumlicher Nähe verlegt werden“, erklärt die Bahnsprecherin.

Auch wenn es keine Gewissheit gibt, wie sich das Angebot der Autoreisezüge in Deutschland langfristig entwickeln wird, ist Familie Dietze froh, dass weiterhin Verbindungen ab Hamburg angeboten werden. Denn die nächste Autozugreise ist bereits in Planung. Diesmal möchte Bernd Dietze mit Freunden und dem Motorrad nach Spanien aufbrechen – die Fahrt bis Innsbruck soll wieder der Autozug übernehmen, denn Petra und Bernd Dietze sehen neben der entspannten Anreise einen weiteren Vorteil: „Wir müssen das Motorrad nicht bewegen und haben keinen Verschleiß.“ Während seine Frau aus Zeitgründen diesmal das Flugzeug nimmt, wird sich Bernd Dietze dann wohl für den Urlaubs-Express entscheiden.

 

Titelfoto: Train4you Vertriebs GmbH


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