20.07.2024 Jörg Berghoff

Endlose Weiten und indigene Kultur im Herzen Kanadas

In der geografischen Mitte Kanadas bilden die Provinzen Manitoba und Saskatchewan einen großen Naturschatz. Sie sind noch immer ein Geheimtipp für Besucher aus Europa, die unberührte Landschaft und die Kultur der First Nations kennenlernen.


„Wir zeigen unseren Gästen das unverfälschte Leben in und mit der Natur“, erzählen Jason und Ashley Smith, die mit ihren Holzhütten im Turtle Village im Riding Mountain National Park den Gästen Naturerfahrung pur vermitteln. Dieses Bekenntnis eignet sich auch als Leitfaden einer Reise durch Kanadas Prärieprovinzen, die den Respekt vor der Natur und der Kultur der First Nations eindrucksvoll vertieft.

Die windgepeitschte Tundra im Norden mit ihren Eisbären, Belugawalen und atemberaubenden Nordlichtern lockt Kanada-Reisende nach Churchill, den bekannten Ort in Manitoba. Je mehr man sich aber auf die Provinz einlässt, je intensiver man sie erkundet und ihren Geschichten lauscht, desto mehr zieht sie jeden in ihren Bann. Manitobas Tierwelt, die einzigartigen Landschaften und die prähistorische Geschichte begeistern ebenso wie die indigenen Geschichtenerzähler mit ihrer besonderen Beziehung zur Erde. Hier hört man ihn, den Ruf der Prärie aus Kanadas Mitte.

Manitobas boreale Wälder sind 570.000 Quadratkilometer groß, das ist größer als die Fläche Frankreichs. Die Provinz liegt im Zentrum des Wassereinzugsgebiets der Hudson Bay, das sich vom Nelson River Richtung Westen in die Berge, südlich in die Vereinigten Staaten und östlich nach Ontario erstreckt. Von stillen Momenten beim Wandern bis hin zu Abenteuern in der subarktischen Landschaft, Manitobas Geschichtenerzähler der First Nations und die Natur- und Nationalpark-Ranger erwecken auf Touren durch die unberührte Wildnis indigene Traditionen zum Leben und sorgen damit für eine ganz besondere Art von Reiseerfahrung. So zum Beispiel im Riding Mountain National Park, Heimat einer stattlichen Herde von 40 Prärie-Bisons. Die Tiere, die in einem 500 Hektar großen Gehege umherstreifen, sind Nachkommen einer kleinen Gruppe, die in den 1940er-Jahren aus dem Elk Island National Park eingeführt wurde, um die seinerzeit stark dezimierte Art zu erhalten.
 

Den östlichen Eingang zum Riding Mountain National Park bildet ein mächtiges Tor. Foto: Jörg Berghoff

Bisons am See

Man muss früh aufstehen, aber der Weg zum Lake Audy lohnt sich. Noch bevor die Sonne hoch am Himmel steht, grast die Bison-Herde friedlich im Morgentau. Manchmal kann man hier auch Schwarzbären, Elche und Luchse erspähen. Mit Aaron McKays Geschichten über die großen Bison-Herden, ihre Bedeutung für das Leben der First Nations sowie die beinahe vollständige Ausrottung der Bisons und damit die Vertreibung der Stämme aus ihren Gebieten durch die Einwanderer und Pelzjäger entsteht ein bewegendes Bild der Landschaft, der Tiere und der Menschen. „Ich war in meiner Jugend auf einigen Umwegen unterwegs“, erzählt Aaron, „bis mir mein Großvater die Zusammenhänge in der Natur vermittelt hat. Danach wusste ich, dass Mensch, Tier und Pflanze eine große Einheit bilden und alles mit allem zusammenhängt. Das hat mich auf den richtigen Weg gebracht.“ Heute arbeitet er als Reiseführer, Fotograf und Künstler mit dem Ziel, den Gästen die Wunder der Natur näherzubringen.
 

Eine Bison-Herde am Lake Audy zieht friedlich ihre Bahn. Foto: Jörg Berghoff

Insgesamt sieben First Nations Communities leben heute rund um den Riding Mountain National Park. Sie arbeiten mit der Parkverwaltung zusammen, um gemeinsam die Natur zu schützen und den indigenen Tourismus zu fördern. Mit Projekten wie dieser geführten Wanderung zu den Bisons vermitteln sie authentische Einblicke in ihre Kultur und bewahren ihre Traditionen. Auch Ashley Smith, die zur Gambler First Nation Community gehört, trägt in ihrem Turtle Village bei Wasagaming am Lake Clear dazu bei, dass die Camper in ihren kleinen Hütten so nah wie möglich mit dem Leben in den Wäldern in Berührung kommen. Das gilt auch für eine rund sechs Kilometer lange Wanderung auf dem Gorge Creek Trail. Er hat einen mittleren Schwierigkeitsgrad und führt an den Hängen der Schlucht durch das Tal. Den kleinen Pfad sollte man achtsam begehen, denn nicht selten kreuzt ein Schwarzbär den Weg. Die in der Regel friedlichen Tiere verschwinden sofort im Gebüsch, wenn sie Menschen wittern, Vorsicht ist trotzdem geboten, denn es sind und bleiben Raubtiere. Die großartige Naturerfahrung und die grandiosen Aussichten auf die hügelige Schluchten und Waldlandschaft, die Stille in der Natur und die Gewissheit, dass das alte, wertvolle Wissen der First Nations hier in Manitoba erhalten bleibt, macht demütig.
 

Eine Bootsfahrt auf dem Lake Clear lohnt sich besonders zum Sonnenuntergang. Foto: Jörg Berghoff

Wandern in der Wildnis

Auf der Fahrt durch die kanadische Provinz Saskatchewan scheinen Himmel und Erde am Horizont zu verschmelzen. Die Kultur der First Nations ist auch hier überall spürbar. Saskatchewan mit seinen Seen, Flüssen, Parks und attraktiven Städten wie Saskatoon ist ein Naturparadies, das vielen Kanada-Reisenden noch beinahe unbekannt ist. Hier gibt es eine Menge zu entdecken. So schlängelt sich zum Beispiel der Fluss Qu´Appelle im Süden der Prärieprovinz Saskatchewan malerisch durch hügelige Täler und bildet einen auffälligen Kontrast zu den flachen Ebenen im Norden und Süden. Auf einer Länge von 430 Kilometern durchquert er über die Hälfte Saskatchewans, bevor er in der Nachbarprovinz Manitoba in den Assiniboine River mündet.
 

Im Prince Albert National Park gibt es mit dem Mud Creek Trail am Waskesiu Lake einen herrlichen Rundweg. Foto: Jörg Berghoff

Die Region um den Meadow Lake im Nordwesten Saskatchewans ist mit ihrer Unberührtheit ebenfalls kaum an Schönheit zu übertreffen: tiefe Wälder, klare Seen und beeindruckende Nordlichter, die nachts am Himmel tanzen. Hier, im traditionellen Gebiet der First Nations und der Métis – Nachfahren europäischer Pelzhändler und Frauen indianischer Abstammung –, kann man in kulturellen Camps tief in die indigene Kultur eintauchen. Wie etwa im Batoche National Historic Site, der das Leben der Métis eindrucksvoll schildert.

Endloser Himmel

In der Präriemetropole und Universitätsstadt Saskatoon kann man das pulsierende Leben einer Großstadt mitten in der Prärie erleben. Hier geht es genauso entspannt zu wie in Manitobas Hauptstadt Winnipeg. Beeindruckend sind die großen, weiträumigen Boulevards und Hauptstraßen, die Einkaufszentren, die eher wie abwechslungsreiche Vergnügungsparks daherkommen und eine offene, gastfreundliche Stimmung, die Gäste sofort in den Canadian way of life integriert. Außerdem glänzen beide Orte mit zwei Museen, die man unbedingt besuchen sollte: das Canadian Museum for Human Rights in Winnipeg und das Remai Modern in Saskatoon gehören auch architektonisch zu den interessantesten Museen der Welt.
 

Das Canadian Museum for Human Rights in Winnipeg bietet eine spannende Ausstellung in einer futuristischen Hülle. Foto: Jörg Berghoff
In Saskatoon trifft man am South Saskatchewan River auf Tradition und Moderne. Foto: Jörg Berghoff

Die Region um den Meadow Lake im Nordwesten Saskatchewans ist mit ihrer Unberührtheit ebenfalls kaum an Schönheit zu übertreffen: tiefe Wälder, klare Seen und beeindruckende Nordlichter, die nachts am Himmel tanzen. Hier, im traditionellen Gebiet der First Nations und der Métis – Nachfahren europäischer Pelzhändler und Frauen indianischer Abstammung –, kann man in kulturellen Camps tief in die indigene Kultur eintauchen. Wie etwa im Batoche National Historic Site, der das Leben der Métis eindrucksvoll schildert.
 

Daniel „Pinock“ Smith baut im Remai Modern in Saskatoon aus Birkenrinde traditionelle Kanus der First Nations. Foto: Jörg Berghoff
Wyatt Brown von den Whitecap First Nation vermittelt die Kultur seiner Community. Foto: Jörg Berghoff

Im Grasslands National Park im Südwesten Saskatchewans begeistern vor allem die Panoramen und der endlos erscheinende Himmel über der Prärie mit seinen dramatischen Wolkengebilden. Diesen Wolkenformationen und dem spektakulären Farbspiel am Himmel verdankt Saskatchewan seinen Beinamen „Land of living skies“. Auf den Highways kommt man sich hier vor, als ob man sich auf einer Reise befindet, die niemals endet. Der Park besteht aus zwei Teilen, wobei sich einige der wilden Landschaften bereits aus dem Autofenster entlang des 20 Kilometer langen Ecotour Scenic Drives erblicken lassen. Bei Autofahrten in der Dämmerung muss ganz besonders auf den Wildwechsel geachtet werden. Wer sich gut informiert über Wanderrouten, Bedingungen und alle Sicherheitsvorkehrungen der Parkverwaltung, bevor er im Grasslands National Park wandert, wird Saskatchewans vielfältige Tierwelt, die einzigartige Landschaft und den endlos weiten Himmel genießen. Und vielleicht Wyatt Brown von den Whitecap First Nation treffen, der im Dakota Dunes Resort bei Saskatoon die Kultur seiner Community mit Tänzen und Geschichten eindrucksvoll vermittelt.

 

ARCD-Reiseservice

Titelfoto Jörg Berghoff


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