Hinter den Kulissen von Schloss Herrenchiemsee
Mit Schloss Herrenchiemsee wollte Ludwig II. seinem monarchischen Ideal ein Denkmal setzen. Nur 20 von 70 Räumen wurden allerdings fertiggestellt – was die Besucher nicht stört. Sie strömen in Scharen auf die Insel im „Bayerischen Meer“.
Seine Majestät wäre wohl „not amused“ gewesen. Abertausende Menschen durchstreifen sein Traumschloss, das doch eigentlich vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben sollte. Mehr noch: Nach dem Tod des „Kini“, wie Ludwig II. bis heute gern genannt wird, sollten seine Schlösser zerstört werden. Auch Herrenchiemsee. Der bayerische Staat entschied anders. Schon zwei Monate nach dem mysteriösen Ende des Märchenkönigs 1886 wurde der unvollendete Prachtbau auf der größten Insel im Chiemsee zur Besichtigung freigegeben. Die Menschen strömten in Scharen und sie tun es heute mehr denn je. Das Schloss, das unweigerlich an Versailles erinnert, aber keineswegs als Kopie gedacht war, zählt zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten des Freistaats. Wir wagen einen Blick hinter die Kulissen.
Veronika Endlicher hat den Job ihres Lebens gefunden. Tagtäglich ist sie umgeben von prunkvoller Kunst, von mächtigen Gobelins, filigranen Kristallleuchtern und beeindruckenden Gemälden. „Daran kann ich mich noch immer nicht satt sehen“, gesteht die 44-jährige Historikerin, die als Kastellanin heute Chefin im Schloss Herrenchiemsee ist. Auf einen Lieblingsraum will sie sich nicht festlegen. „Die Decke der Spiegelgalerie kann ich stundenlang bewundern und entdecke jedes Mal neue Details“, erzählt sie, „aber auch das blaue Schlafzimmer oder das Porzellankabinett faszinieren mich immer wieder aufs Neue.“
Technikverliebter Monarch
Doch der architektonische Prunk ist begrenzt. Ein Großteil des Schlosses ist bis heute Rohbau – und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Nachdem Ludwig II. 1873 den Hilferuf der Bürger erhörte und die Insel kaufte, um ihren uralten Baumbestand vor dem geplanten Kahlschlag durch ein Holzkonsortium zu bewahren, sollte hier seinem Ideal des absoluten Herrschertums nach dem Vorbild des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. ein Denkmal gesetzt werden. 16 Jahre waren als Bauzeit geplant. Im ehemaligen Augustiner-Chorherrnstift, in dem 1948 der Verfassungskonvent auch den Grundstein für das Grundgesetz legte, ließ sich Ludwig Wohnräume einrichten, um die Arbeiten am Schloss höchstselbst zu überwachen. Der technikverliebte Monarch trieb Architekten und Handwerkern mit seinen ausgefallenen Ideen immer wieder Schweißperlen auf die Stirn. Über dem Prunktreppenhaus musste ein 300 Quadratmeter großes Glasdach her, die Deckengemälde mussten sich an der Laufrichtung des Königs orientieren, der Tisch im Speisezimmer musste versenkbar konstruiert werden, um ihn – störungsfrei für den exzentrischen Wittelsbacher – ein Stockwerk tiefer zu decken. Nur 20 der 70 geplanten Räume wurden letztendlich fertiggestellt und sind heute bei einer rund 40-minütigen Führung zu besichtigen.
Der Keller zum Beispiel bleibt den Gästen verschlossen. 15 Öfen waren hier eingebaut. „Ob die Heizung je in Betrieb war, ist nicht bekannt“, erzählt Veronika Endlicher. „Der König hat ja nie im Schloss gewohnt.“ Mittlerweile haben Kellerräume (und Dachstuhl) neue „Untermieter“. 16 Arten von Fledermäusen, darunter die seltene Kleine Hufeisennase, finden hier Unterschlupf. Die verkehrsfreie Insel, der einzigartige Mischwald mit Exoten wie Tulpenbaum oder geschlitztblättriger Buche, dazu Wiesen und Schilfgürtel sowie der konsequente Verzicht auf Pestizide sorgen für ideale Lebensbedingungen.
Frühlingserwachen im Schlosspark
Unter den beiden riesigen Springbrunnen vor dem Schloss wäre es den Fledermäusen wohl weniger geheuer. Computergesteuerte Pumpen sorgen hier für den präzisen Ablauf der Wasserspiele. Trotzdem dauert die Befüllung eines der beiden großen Bassins etwa eine Woche. „Wir verwenden dafür nur Oberflächenwasser aus einer Zisterne“, berichtet Cheftechniker Robert Stockinger. Das Seewasser ist tabu – der seltenen Dreissena-Muschel wegen, die im „Bayerischen Meer“ ihre Heimat hat. Im Herbst werden Brunnen und Becken aufwendig gereinigt. „Schubkarrenweise holen wir dann Dreck, Laub und Split heraus“, sagt Stockinger. Und Münzen! „Die bekommt dann die Kirche.“ Mit frostabweisenden Pyramiden werden die Brunnen winterfest gemacht, Kletterer einer Spezialfirma schützen die lieblichen Zinkguss-Göttinnen Venus, Amphitrite und Co., die sich im Sommer am plätschernden Nass räkeln, zusätzlich mit Einhausungen.
Im Frühjahr wird alles zurückgebaut, dann beginnt für die Gärtner die Hochsaison. Allein 35.000 Stiefmütterchen werden gesetzt. „Wir ziehen unsere Pflanzen zu gut 90 Prozent in unseren fünf Gewächshäusern selbst“, sagt Chefgärtnerin Veronika Wöhner. Auch die etwa 200 Obstbäume müssen jetzt geschnitten, der Rasen muss erstmals gemäht werden. „Nur um die Wiese am Apollobecken machen wir einen Bogen“, erzählt sie, „denn hier wachsen viele wilde Orchideen.“
Rundweg zu Aussichtsplätzen
Die meisten Besucher durchstreifen die weite Natur auf der 240 Hektar großen Insel heute zu Fuß. Acht Kilometer lang ist der schattige Weg, der unter uralten Bäumen einmal rund um die Insel und zu den beliebten Aussichtsplätzen Ottos Ruh und Pauls Ruh führt. Wer es bequemer haben will, steigt in eine Kutsche. „Wir fahren mit 30 süddeutschen Kaltblütern in Zweispännern und mit Planwagen“, berichtet Christian Hofstetter, der Leiter des Kutschenbetriebs. Wer will, kann hier in etwa zwei Wochen auch einen Kutschenführerschein erwerben. Die Planwagen baut der gelernte Schreiner Hofstetter selbst – aus Eschenholz von der Insel.
Für Sicherheit auf Herrenchiemsee sorgt die Inselfeuerwehr. 20 der 70 festangestellten Mitarbeiter der Schlossverwaltung leisten hier Dienst und werden im Notfall per Funk alarmiert. „Als Außenstelle der Feuerwehr Prien sind wir modern ausgerüstet“, berichtet Robert Stockinger, der neben seinem Hauptjob als Techniker auch als Kommandant Verantwortung trägt. Ein großer Brand sei der Inselfeuerwehr bislang erspart geblieben, gar nicht so selten seien aber First-Responder-Einsätze. „Wir leisten dann Erste Hilfe, bis Sanitäter und Notarzt entweder per Heli oder mit dem Schnellboot der Wasserwacht kommen“, sagt Stockinger.
Übersetzen per Schiff
Übers Wasser kommen auch die Besucher auf die Insel. Die Chiemsee-Schifffahrt ist sogar deutlich älter als das Schloss. „Mein Urgroßvater hat 1845 das erste Schiff in Betrieb genommen“, blickt Michael Feßler, der Chef des Familienunternehmens aus Prien, zurück. Die Klöster auf der Herren- und der benachbarten Fraueninsel sowie eine Handvoll Fischerfamilien wurden so versorgt. Mit dem Bau der Eisenbahn von München nach Salzburg kamen Ende des 19. Jahrhunderts zusehends die Städter. Eine Schmalspurbahn, die 1887 vom Bahnhof Prien durch den Ort zum Hafen gebaut wurde – und die bis heute fährt – verkürzte die Anreise. Prominente Gäste durften nicht fehlen. „Auch Kaiserin Sisi, der Schah von Persien und Thailands König Bhumipol waren da“, berichtet Feßler. Heute befördern die 13 Schiffe rund 950.000 Gäste im Jahr. Die meisten wollen Ludwigs Traumschloss sehen, das der Märchenkönig doch so gerne für sich allein haben wollte.
Impressionen
Fotos: Stefan Gruber
ARCD-Reiseservice
- Anreise:
Mit dem Auto auf der A8 bis Ausfahrt Bernau, von hier nach Prien.
Der Ort ist auch per Bahn erreichbar.
Die Schiffe zu den Inseln verkehren alle 30 Minuten.
Die historische Chiemsee-Bahn fährt stündlich von Prien-Bahnhof zum Hafen. - Schloss:
Der Besuch ist täglich von 9 bis 18 Uhr nur im Rahmen einer Führung möglich,
Tickets online oder an den Kassen am Anleger auf der Insel, Gesamtkarte Insel 11 €,
www.herrenchiemsee.de. - Fraueninsel:
Die Nachbarinsel mit dem mehr als 1.000 Jahre alten Benediktinerinnen-Kloster und dem malerischen Fischerdorf bietet sich für einen Abstecher an. Absolut sehenswert: die Basilika mit dem Klosteranger, der achteckige Campanile mit seiner barocken Turmzwiebel, der Inselfriedhof und die karolingische Torhalle – eines der ältesten Gebäude Bayerns. - Infos:
Chiemgau Tourismus, Tel. 08 61 / 90 95 900, www.chiemsee-chiemgau.info
Titelfoto: Stefan Gruber