Indien: Kerala zu Wasser und zu Land entdecken
Der Bundesstaat Kerala ist Südindien in Perfektion. Die Straßen sind sauber, die Mehrheit der Einwohner kann lesen und schreiben und der Alltag ist äußerst gelassen. Man schippert mit einer Reisbarke durch die Lagunenlandschaft, erfährt etwas über den Hochlandtee und das traditionelle Handwerk oder beobachtet seltene Wildtiere im Nationalpark.
Sasi trägt nichts außer einem Wickelrock. Der 68-Jährige arbeitet gemeinsam mit seinem 44-jährigen Kollegen Madhu am gewaltigen Webstuhl in der Kokosnussmattenfabrik Labourers Coir Mats & Mattings Cooperation in Muhamma. Neben ihm stehen drei Säcke voller Faserspulen, vier aufgerollte Kokosmatten, an den Wänden baumeln Handtücher gegen den Schweiß. Mit ihren blanken Füßen treten die beiden Inder auf die massiven Holzpedale des Webstuhls, schieben die Fadenspule geschwind hin und her und streichen mit einem Kamm die gewebten Kokosfasern glatt. „Es ist eine Kunst, dicke Matten mit engen Maschen zu weben. Da muss man flink mit den Händen und Füßen sein. Ich habe 40 Jahre Erfahrung hier im Betrieb, komme dabei aber noch immer ganz schön ins Schwitzen“, sagt Sasi und lacht. In den luftdurchfluteten Holzhallen der Fabrik spinnen Frauen an altmodischen Geräten die sperrigen Kokosfäden zu Garn und ein Dutzend Männer webt daraus Matten, die in Europa als winterlicher Pflanzenschutz, Unkrautsperre oder Uferbefestigung für Gartenteiche dienen.
Luxuriöse Bootstouren
Muhamma ist ein Fischer- und Bauerndorf an der Westseite des Vembanadsees. Der knapp 97 Kilometer lange See, der sich als längstes Binnengewässer Indiens zwischen den Städten Alappuzha und Kochi erstreckt und dort durch eine Salzwassersperrbrücke vom Arabischen Meer getrennt ist, gilt zusammen mit der von Kanälen durchzogenen Umgebung als Paradies für Bootstouren. In lokalen Shikaras, motorisierten Holzbooten, und umgebauten traditionellen Reisbarken schippern die Besucher durch eine faszinierende Lagunenlandschaft, die Backwaters. Am Ufer staksen Kuhreiher, auf den Palmen sitzen Eisvögel und Brahmanenmilane. Schlangenhalsvögel gleiten durch das Wasser, darauf leuchten Tausende roter Seerosenblüten und grüne Wasserhyazinthen. Ab und zu passiert man eines der Dörfer am Ufer. Schon morgens um fünf Uhr sind die ersten Fischer auf dem See unterwegs. Sie binden sich eine Kopflampe um und fischen nach Buntbarsch, Scampi, Garnelen und Muscheln. Die Fische und Meeresfrüchte spült der Monsun jährlich im August durch die geöffnete Brücke vom Meer in das Süßwasser und reinigt die Region gleich dazu, etwa von den invasiven Wasserhyazinthen.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bauten die ersten Privatleute am Seeufer illegal Reis an. Der herrschende Maharadscha drückte beide Augen zu, schließlich wollte er die Versorgung der Bevölkerung gewahrt wissen. Daraufhin kamen weitere Anbaugebiete hinzu. Um den Reis zu transportieren, grub man Kanäle. Auf denen fuhren rund 2.000 Barken durch Kerala, jede mit bis zu 40 Tonnen Reis an Bord. Heute sind es noch fast 500 Boote, die den Touristen auf noblen Aufenthaltsdecks und in schicken Schlafkabinen ein luxuriöses, geruhsames Urlaubsgefühl garantieren, Butler- und Kochservice inklusive. Nur am späten Nachmittag wird es einmal hektisch. Dann eilen die Hausbootkapitäne zu den Anlegestellen, denn ab 17.30 Uhr dürfen nur noch Fischer auf ihren Booten unterwegs sein.
Ein Händchen für Tee
Die Tealady stört das wenig. Die 83-jährige Dame, die einen schicken roten Sari trägt, paddelt schon vorher mit ihrem Kahn über die Wasserwege und legt hier und da am Ufer an. Sie verkauft Masala-Tee mit Milch und Zucker. „Einen Löffel zum Umrühren brauche ich nicht. Ich kippe den Tee einfach zwischen zwei Bechern hin und her. So haben es schon meine Großeltern gemacht“, erzählt die grauhaarige Inderin und holt gleich noch für Kerala typische Leckereien aus ihrer Bootsbox: Dal Vada, scharfe Linsenkrapfen, und Llayada, einen süßen Reismehl-Snack im Bananenblatt.
Der Tee, den die Lady serviert, wächst im östlichen Hochland. Die Region um die Ortschaft Munnar ist berühmt für ihre gigantischen Teeplantagen. Wie ein grüner Teppich überziehen die Teebüsche die hügelige Landschaft. Darin balancieren bunt gekleidete Frauen dicke Säcke mit frisch geernteten Blättern auf ihren Köpfen oder schneiden an den Büschen. Eine davon ist Stella. Sie arbeitet für die Kanan Devan Hills Plantations Company, die größte Teefirma der Welt, die sich im Besitz der Mitarbeiter befindet. „Weißer Tee ist der edelste. Dafür pflücken wir nur das jeweils oberste Blatt eines Zweiges per Hand“, erklärt die Teepflückerin. „Für grünen Tee kommen nur das zweite und dritte Blatt in Frage. Für Schwarztee dürfen wir die Teeblatt-Schneideschere benutzen. Dann wird aus vier Kilogramm Blättern ein Kilogramm Schwarztee“, fährt die 40-Jährige fort und kippt den Schnitt, der sich in ihrem an der Schere angebrachten Stoffsäckchen befindet, in das Sammeltuch, das sie um Kopf und Hüfte geschnallt hat. „Auf insgesamt 24.000 Hektar Anbaufläche produzieren wir fast ein Drittel des indischen Tees unter der Marke Ripple Tea. Als herausragend gilt unser partizipiertes Managementsystem, bei dem die Aktionäre des Unternehmens hauptsächlich die Mitarbeiter sind. So dürfen die beiden in einem Jahr als beste ausgezeichneten Arbeiter im nächsten Jahr in den Vorstand der Firma“, sagt die adrette Frau stolz und blickt hinunter auf die Straße, die gerade zwei Kühe blockieren. Kühe sind in Indien heilig und haben deshalb viele Freiheiten. Auch auf der Straße.
Safari auf dem Wasser
Im Periyar Wildlife Sanctuary, auch Periyar Tiger Reserve genannt, das seit zwölf Jahren als Teil der Gebirgskette der Westghats UNESCO-Weltnaturerbe ist, sorgt die Regierung dafür, dass die Wildtiere ungestört in Freiheit leben können. Beobachtungen sind nur auf geführten Touren erlaubt. Wer nicht wandern will, kann fünfmal am Tag mit dem Forstamtbus zum Periyarsee fahren, in den Bäumen am Anleger die niedlichen Bartaffen beobachten, wie sie zwischen den Ästen herumturnen, und eines der zugehörigen Ausflugsboote erklimmen. Für eineinhalb Stunden geht es dann auf eine Pirsch voller beeindruckender Tiersichtungen: Indische Elefanten, Wildhunde, Pferdehirsche und endemische Königsriesenhörnchen, eine Art großer Eichhörnchen, tummeln sich am Dschungelufer. Auch Gaur, die größten Rinder der Welt, Doppelhornvögel und Bengalische Tiger lassen sich erspähen.
„Über unsere Wildkameras haben wir 42 Tiger im Park gezählt. Damit sind wir eines der am besten verwalteten Tigerreservate in Indien“, sagt Naveena Bedsy Anand. Die 24-jährige Biologin führt regelmäßig Wanderungen durch den Park. „Damit das so bleibt, haben wir Jäger zu Beschützern gemacht“, ergänzt Bedsy. Als 1895 der Mullaperiyar-Staudamm gebaut wurde, um die Bewohner im angrenzenden Bundesstaat Tamil Nadu mit Wasser zu versorgen, und der Periyarsee entstand, mussten viele Stammesvölker das Gebiet des heutigen Parks verlassen. Sie suchten sich im Umland eine neue Bleibe und lebten von der Jagd. Die Regierung hat die Nachfahren inzwischen als Ranger angestellt. Sie bekommen ein gutes Gehalt und müssen nicht mehr jagen, sondern passen stattdessen auf die Wildtiere auf – ein Gewinn für beide Seiten.
In Kochi am nördlichen Ende der Backwaters teilen sich Fischer und Eigentümer der chinesischen Fischernetze den Gewinn. Die riesigen, 600 Jahre alten Teakholznetze sind das Highlight an Kochis River Road. Ob sie ein Vermächtnis der Portugiesen sind, die das Land einst beherrschten, oder von den Chinesen eingeführt wurden, weiß niemand. Nur eins steht fest: Es sind mindestens vier Männer nötig, um das haushohe Netz nachmittags ins Wasser zu lassen und am frühen Morgen vollbeladen mit Meeräsche, Krabben und Wolfsbarsch wieder einzuholen. James und Franklin sind Teil einer Freundesgruppe, die so ein Netz betreibt. „Ein Drittel aus dem Fischverkauf geben wir dem Eigentümer, denn der musste erstmal eine Million Rupien, umgerechnet 11.000 Euro, in den Bau investieren“, sagt der 60-jährige James. „Die restlichen zwei Drittel teilen wir unter uns auf. Das sind mal drei, mal elf Euro am Tag“, ergänzt der 72-jährige Franklin und wischt sich den Schweiß von der Stirn – genauso wie der Weber Sasi am Vembanadsee.
ARCD-Reiseservice
Anreise:
Ab Stuttgart fliegt zum Beispiel Turkish Airlines über Istanbul und Muscat nach Kochi.
Beste Reisezeit:
Von Dezember bis März mit Tagestemperaturen von 30 bis 31 Grad Celsius. Nachts fällt das Thermometer auf 23 bis 26 Grad Celsius.
Unterkunft:
Coconut Lagoon Resort, geräumige Bungalows mit bequemen Betten in einer Lagunenlandschaft am Vembanadsee, www.cghearth.com/coconut-lagoon; Windermere Estate, große Zimmer mit Terrasse und tollem Blick auf die Western Ghats bei Munnar, www.windermeremunnar.com; Spice Village, strohgedeckte Elefantengrasbungalows wie in einem Dorf der lokalen Bergstämme bei Periyar, www.cghearth.com/spice-village; Eighth Bastion, gemütliche AC-Balkonzimmer um einen Innenhof mit Pool in Kochi, www.cghearth.com/eighth-bastion.
ARCD-Buchungsservice:
Das ARCD Reisebüro (Tel. 0 98 41 / 4 09 150 oder info@arcd-reisen.de) ist Ihnen gern bei der Planung Ihrer individuellen Reise nach Kerala behilflich. Auch Gruppenreisen sind im Angebot, z. B. eine 7-Tage-Privattour „Traumhaftes Kerala“ ab/bis Kochi mit Tischler Reisen, eine 11-tägige Privatreise „Südindien exklusiv“ mit Gebeco, eine 20-Tage-Studienreise „Große Südindienreise“ mit Studiosus, eine 21-tägige geführte Wanderreise „Exotik Südindien“ mit Wikinger Reisen und eine 17-Tage-Erlebnisreise „Große Südindien-Rundreise“ mit Ikarus Tours.
Auskünfte:
Kerala Tourism, www.keralatourism.org/german, und Indisches Fremdenverkehrsamt, www.incredibleindia.org