01.06.2017 Jessica Blank

Irland: Der ungestüme Norden

Eile ist in Irland wirklich fehl am Platz. Viel schöner ist es doch, in aller Gemütlichkeit die unberührte Natur anzuschauen und zu genießen. Und davon gibt es im ­nördlichen Abschnitt des Wild Atlantic Way im County Donegal mehr als genug.


Mit der Gemütlichkeit  der Schafe. Der Norden des Wild Atlantic Way.

Krachend zerschellen die Wellen an den Felsen. Wasser spritzt zu allen Seiten und sucht sich den Weg in jede noch so kleine Gesteinsspalte. Nur um als weiße Gischt wieder zurück in den wilden Atlantik zu strömen. Wanderer können das Naturschauspiel gar nicht nah genug haben. Wollen noch näher ran und begeben sich auf den waghalsigen Pfad an den Klippen entlang. Das Ver­botsschild hindert sie nicht daran, weiterzugehen. Das haben schließlich schon andere gemacht. Sieht man an dem aus­getretenen Weg. Und schließlich stehen sie am nördlichsten Punkt Irlands: Malin Head. Nur ein, zwei Schritte weiter droht der Abgrund. Zerklüftete Felswände fallen steil hinab in das tosende Meer. So gefährlich und doch einfach wunderschön. Ein Ort wie von einer anderen Welt. Niemanden würde es wundern, wenn hier ein Raumschiff auf dem steinigen Untergrund landen würde. Das dachten sich vermutlich auch die Macher des neuen Star-Wars-Films. Sie drehten tatsächlich genau an diesem Ort Szenen für die Episode 8. Bauten sogar ein Raumschiff auf und ließen die Gegend für ein paar Tage komplett abriegeln. Nicht einmal Passagierflugzeuge durften über die nördlichste Spitze die Grüne Insel anfliegen. Viel Aufruhr, aber auch viel Aufmerksamkeit für diesen ganz besonderen Ort. Langsam rumpelt das Auto über die engen Straßen. Schnell fahren ist nicht möglich – und auch nicht Sinn der Sache. Sonst würden die Hauptattraktionen der Inishowen Halbinsel gar übersehen werden. Lange Traumstrände ziehen sich entlang der Buchten. Strände, von denen südeuropäische Urlaubs­regionen sich noch etwas abschauen können. So sauber der Sand, so klar das Wasser. Wenn es doch nur nicht so kalt wäre. Die Surfer interessiert das nicht. Für sie sind Pollan Beach oder Culdaff Beach wahre Paradiese. Etwas abseits der 160 Kilometer langen Rundstrecke auf der Inishowen Halbinsel liegt das Glendowen Studio. In dem kleinen Haus am Straßenrand fertigt Ann McGonigle Umhänge, Mäntel und andere Kleidungsstücke aus Tweed, der in der County-Hauptstadt Donegal aus der Wolle heimischer Schafe hergestellt wird. In ihrem kleinen, gemütlichen Laden verkauft die Irin neben ihren eigenen Produkten auch die anderer lokaler Künstler und Handwerker. Töpferwaren, Schmuck, Seifen, Kerzen. Produkte, die man so nicht in Souvenirläden findet. Einmal im Monat veranstaltet Ann McGonigle Sessions mit traditioneller irischer Musik. „Wir wollen Leute aus dem Ort zusammenbringen und die Kultur bewahren – auch für die Kinder“, sagt sie. Sogar für Urlauber ist immer ein Plätzchen frei.

Etwas Weißes flattert auf der Straße. Erst beim Näherkommen wird klar: Es ist ein Schaf, das nun über eine Brücke galoppiert und hinter der nächsten Kurve verschwindet. Dort warten seine Artgenossen bereits. Genüsslich kauend liegen sie im Schatten und bilden eine Traumkulisse für Mamore Gap. Hinter ihnen steigt eine schmale Straße, nicht breiter als ein Wirtschaftsweg, steil an. So steil, dass sie bergab als Skiabfahrt dienen könnte. Mit 30 Prozent Gefälle. Ein Radfahrer will es wissen und kämpft sich den Berg empor. In der Anstrengung verpasst er wahrscheinlich die Aussicht. Und die lohnt sich wirklich. Doch er hat vermutlich einen anderen Grund für die Strapazen. Hinter der Kuppe befindet sich eine beliebte Pilgerstätte mit kleinen Marienaltären.
 

Fort Dunree diente früher als Verteidigungsanlage, heute beherbergt es ein Militärmuseum. Foto: Jessica Blank

Schutz vor Angriffen

Schutz vor Angriffen Nebel hängt am frühen Morgen über dem Atlantik. Wellen rollen in der Ferne an den Strand. Leises Rauschen. Ansonsten absolute Stille. Auf dem Berggipfel thront Fort Dunree. Ebenfalls in Dunst gehüllt. Nur mühevoll kann die Sonne den Schleier vertreiben, der die Befestigungsanlage von 1798 so mystisch erscheinen lässt. „Fort Dunree hat Irland vor Angriffen vom Meer aus beschützt“, erklärt Terry Tedstone. Der Guide deutet auf die andere Seite des Lough Swilly, eine Einbuchtung des Atlantiks, die weiter südlich zum Binnensee wird. Gegenüber steht ebenfalls ein Fort. Schon Napoleon wollte die Grüne Insel vom Wasser aus erobern, und auch in den beiden Weltkriegen war die Befestigungsanlage von großer Bedeutung. Ein Militärmuseum, das die irische Armee 1986 errichtet hat, erklärt Besuchern die Geschichte und zeigt Relikte wie Kanonen und Morseapparate. „Viele kommen wegen der Aussicht und spazieren auf den Gipfel des Berges“, sagt Terry Tedstone. Oben thront ein weiterer, mittlerweile verfallener Teil der Befestigungsanlage, die im 19. Jahrhundert erweitert wurde. „Manchmal sieht man Delfine“, meint der Guide.
 

Drei Tinker beobachten das Treiben am Grianán Aileach. Foto: Jessica Bland

Drei Tinker schauen neugierig über den Zaun. Die gescheckten Pferde beobachten die Busse voller Touristen, die den 250 Meter hohen Greenan Mountain hoch fahren. An­ziehungspunkt: Grianán of Aileach. Das bedeutendste Monument Donegals wacht über der Gegend am Fuße der Halbinsel  – und sieht dabei aus wie eine historische Allianz-Arena aus Stein. Das symmetrische Bauwerk stammt im Original vermutlich aus der Zeit von 1700 vor Christus und soll das Zuhause der Irish High Kings gewesen sein. Heute ist die Faszination eine andere. Mit Hilfe der vielen kleinen Treppen ist der höchste Punkt des Steinkreises schnell erklommen. Die Aussicht reicht bis zum Lough Foyle. Die hügelige Landschaft dazwischen bildet einen Flickenteppich aus leuchtend gelben Ginsterbüschen und saftig-grünen Wiesen, auf denen Schafe grasen. 
 

Auf dem Greenan Mountain liegt Grianán of Aileach. Foto: Jessica Blank

Über 2600 Kilometer lang ist der Wild Atlantic Way, der erst vor wenigen Jahren komplett ausgeschildert wurde. Egal, ob im Süden oder Norden der irischen Atlantikküste, das Zeichen ist immer gleich: Eine Welle auf blauem Hintergrund weist Reisenden den Weg. Die Straßen sind dabei sehr unterschiedlich. Von gut ausgebauten Bundesstraßen bis zu einspurigen, holprigen Wirtschaftswegen ist alles dabei. Aber das spricht auch für sich. Selbst wenn die Route touristisch gut frequentiert ist, hat sich die Wegführung der Landschaft anzupassen – und nicht umgekehrt. So kommt auch diese Gemütlichkeit zustande. Reisen ohne Stress und Hektik. Dafür mit umso mehr Entdeckungen. Die zarten Düfte der exotischen Pflanzen vermischen sich. Ein umwerfendes Parfum der Natur. Die reine Luft aus den Bergen intensiviert das ­olfaktorische Erlebnis. Ein tiefroter Rhododendron aus China wächst neben Eukalyptus aus Australien, daneben ein asia­tischer Magnolienbaum. Pflanzen aus der ganzen Welt gedeihen im Schlossgarten von Glenveagh. „Der Garten zeigt viele Schichten der Geschichte. Er hat sich über die Jahre entwickelt“, erklärt Sean O’Gaoith-in. Henry McIllhenny, der letzte Privatbesitzer des Schlosses, das mitten im Glenveagh National Park gelegen ist, habe viel in den Garten investiert, erzählt der Chefgärtner. „Wir stehen auf den Schultern der Gärtner vor uns“, sagt er und zeigt auf die großen Pflanzen, die schon viele Jahrzehnte alt sind. Damals haben sich viel mehr Leute darum gekümmert, heute pflegen nur vier Angestellte das elf Hektar große Areal. Sean O’Gaoithin steigt langsam die schmalen Treppenstufen hinauf zum alten, auf viktorianische Zeit zurückgehenden Teil des Gartens. „Heimische und exotische Flora kommen hier zusammen. Das ist sehr besonders“, erklärt der Mann mit der karierten Tweed-Schiebermütze. Immer wieder bleibt er stehen, schnuppert an den farbenfrohen Blüten und saugt intensiv ihren Geruch auf. Von oben wirken die Menschen noch kleiner neben den gewaltigen Bäumen. Das Schloss selbst ist gar nicht mehr zu sehen, so hoch wachsen die Pflanzen. Durch die verschiedenen Ebenen des Gartens entsteht ein beeindruckender Perspektivenwechsel.
 

Gleanveagh Castle liegt mitten im gleichnamigen Nationalpark und besitzt einen beeindruckenden Garten.

22 Jahre Leidenschaft

Auf dem Weg nach unten hält der Chefgärtner an und zeichnet mit Armen und Händen eine weltumfassende Geste in die Luft. „Isn’t it beautiful?“ Oh ja, wunderschön. „Die exotischen Bäume sind so wichtig wie die heimischen“, erklärt der Gärtner. Er zeigt auf eine Gruppe von Bäumen. „Das ist alles natürlicher Wald. Und wir wollen das nicht ändern.“ Die Gärtner wollen eine nachhaltige Umwelt kre­ieren, aber auch Menschen inspirieren. Und so kommen jährlich 150000 Besucher zum Glen-veagh Castle. Tendenz steigend. „Früher war Donegal isoliert. Die Menschen wollten wegen des Konflikts mit Nordirland nicht hierher reisen“, erklärt Sean O’Gaoithin. Doch heute ist das problemlos möglich. Sogar Prinz Charles war kürzlich zu Gast – und der leidenschaftliche Gärtner und ökologische Landbauer hatte viel Lob für die Arbeit der irischen Chefgärtner übrig. Er würde sich schämen, seinen ­eigenen Garten zu zeigen gegen diesen, soll er laut Sean O’Gaoithin gesagt haben. Eine riesige Ehre für den Mann, der seit 22 Jahren seine Leidenschaft mit diesem Garten hegt und pflegt. Der diesen Garten einfach liebt. Schafe kraxeln furchtlos an den Klippen entlang. Sogar die kleinen Lämmer wagen sich an den steilen Felshang. Nur, um an das beste Gras zu kommen. Mit 600 Metern Höhe sind die Klippen von Slieve League die höchsten Europas. Auch wenn die Aussicht beeindruckend ist, Fotomotiv Nummer eins sind die Schafe. Wie die Sphinx liegt ein Schaf auf dem Gipfel und lässt sich die Wolle durchpusten. Einfach das Leben und die Aussicht genießen. So sollten die Menschen Irland bereisen. Mit der Gemütlichkeit der Schafe.

 

Titelfoto:
Mailin Head ist der nördlichste Punkt Irlands. Dort wurden Teile des neuen Star-Wars-Films gedreht. Foto: Jessica Blank


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