Die Kapverden-Inseln São Vicente und Santo Antão
Wenige waren schon auf den Kapverden, und wenn, dann nicht hier. Ein Besuch auf zwei Inseln, die ins Ohr und in die Beine gehen und von Touristen oft übersehen werden: São Vicente und Santo Antão. Die eine lebt von Musik, die andere von steilen Bergen und Pflanzterrassen.
Gewöhnlich dreht sich ein Restaurantbesuch ums Essen. Auf der überdachten Terrasse der Casa Tchicau, in dem Teil von Mindelo, wo sich die Gassen eng und steil nach oben winden, sind das an diesem Abend glasierte Wachteln und Fischfrikadellen, dazu heimisches Gemüse – zubereitet von der Hausherrin, die dem Lokal ihren Vornamen gab, aber noch nie über eine Speisekarte nachdachte, denn es gibt, was sie an dem Tag kochen will, also immer was anderes. Das heutige Gericht hätte unsere ungeteilte Aufmerksamkeit verdient, wäre da nicht die dreiköpfige Combo in der Ecke, die in Badeschlappen so herzergreifend Morna spielt. Das ist die Sehnsuchtsmusik der Kapverden, die seit vier Jahren sogar unter UNESCO-Schutz steht, mit ihren Mollklängen und dem langsamen Tempo, und für Kapverdianer denselben Stellenwert hat wie der Fado für Portugiesen. Neugierig lassen wir uns das anrührende Stück aus dem Kreolischen übersetzen. Es handelt von einem Ochsen, der beim Zuckerrohrpressen immer im Kreis gehen muss und dabei leidet. Zugegeben, es klang romantischer, als wir es noch nicht verstanden hatten.
Klänge wehen übers Meer
Die Kapverden sind berühmt für ihre Musik. Das erstaunt nicht. Entdeckt von Seefahrern, geschätzt als Zwischenstopp auf dem Weg nach Indien, später dann Drehpunkt für den Sklavenhandel, gab es ein ständiges Kommen und Gehen. Das bis ins 15. Jahrhundert unbewohnte Archipel nahm Einflüsse aus aller Welt auf. Im Zentralatlantik gelegen, gehören die Inseln, von denen heute neun bewohnt sind, geografisch zu Afrika, wurden aber von Europäern kolonisiert. Die Sprachbarrieren waren groß. Was von Anfang an jeder verstand, war Musik. Sie wurde gepflegt, geschätzt und ständig weiterentwickelt. Am meisten wohl auf São Vicente, denn durch den natürlichen Hafen spielte die Insel anfangs eine Hauptrolle und Mindelo entwickelte sich zu einer Vergnügungsstadt, was sie bis heute ist.
Der Besucher kann sich auf São Vicente mit Musik auf jeden Fall durch die Nacht tragen lassen, und zwar mit Livemusik. Wäre es nicht einfacher und völlig ausreichend, Playlists laufen zu lassen, wie fast überall sonst auf der Welt? Man ahnt es schon, es wäre Frevel. „Die Leute hier lieben handgemachte Musik“, entgegnet Markus Leukel, ein Schlagzeuger, der vor fünf Jahren aus Deutschland hierherkam, um die Rhythmen der Insel zu erkunden, und beschloss zu bleiben. Leider muss er gleich aufbrechen, denn er hat noch einen Gig in einem Club. Wir folgen ihm und freuen uns, dass es dort weder dunkel ist noch heiß, keine Discokugel oder Laserlicht zu sehen sind. Stattdessen sitzen wir lauschig an Tischen im Freien, unterm Sternenhimmel. Und so allmählich, wenn ich die Augen schließe und lausche, wird mir klar, warum mir diese Art von Musik so vertraut vorkommt. Mein CD-Regal der Neunziger und ein formatfüllendes Gesicht tauchen vor meinem inneren Auge auf: Cesária Évora. Tatsächlich wurde die 2011 verstorbene Sängerin in Mindelo geboren und bevor sie auf den Bühnen der Welt stand, tingelte sie hier durch die Bars, wie es die heimischen Musiker bis heute tun. Viele spielen gleich in mehreren Bands, weil die Insel so klein und die anderen Inseln so weit weg sind. Und auch, weil es ihnen nie zu viel wird.
Eine Gitarre mit vier Saiten
So wie Luis Baptista, 47 Jahre alt, Dreads, strahlendes Gesicht und energiegeladen bis in die Fingerspitzen. Er bittet uns zur Tür herein und eine enge Treppe in den ersten Stock hinauf. Luis spielt selbstverständlich in mehreren Bands, hat aber auch tagsüber mit dem Metier zu tun, denn er baut Gitarren, auf Bestellung. An der Decke hängen lauter Saiteninstrumente, darunter Cavaquinhos, kleine viersaitige Gitarren, ohne die die kapverdische Musik nicht zu denken wäre und die portugiesische Seefahrer mitbrachten, weil sie so gut zu transportieren waren. Nur zwei kleine Maschinen gibt es im Raum. Fast alles wird von Hand gemacht. Ein bis zwei Wochen braucht Luis für ein Cavaquinho. Viele bekannte Musiker kamen zu seinem Vater, der ihm und seinen vielen Brüdern das Spielen und das Bauen beibrachte. Sein ältester Bruder war sogar musikalischer Leiter der Cesária Évora Band.
São Vicente mag musikalisch sein, aber es ist sehr trocken und wenig fruchtbar. Viele Einheimische siedelten deshalb mit der Zeit nach Santo Antão über, das auch Garten der Kapverdischen Inseln genannt wird – und wir tun es ihnen gleich, zumindest für den Rest der Reise. Eine Stunde nur braucht die Fähre zur nordwestlichsten Insel des Archipels. An der Anlegestelle, dem einzigen Zugang zur Insel, denn einen Flughafen gibt es nicht, geht es hektisch zu. Es müssen alle Waren auf Autodächer verladen werden und die Passagiere Platz auf der Ladefläche eines Aluguers finden, wie die Sammeltaxis heißen. Noch ist nichts zu sehen vom Grün, auf das wir uns gefreut haben. Stattdessen eine Mondlandschaft. Um zum fruchtbaren Teil des Landes zu kommen, mit seinen tiefen feucht-tropischen Tälern, müssen wir auf die andere Seite der Insel, in den Norden, wo die Wolken hängenbleiben und sich abregnen.
Dort macht der Name Kapverden, offiziell Cabo Verde, also grünes Kap, auf einmal Sinn, denke ich mir, liege aber falsch: Tatsächlich heißen die Inseln nicht so, weil sie selbst so grün wären, sondern weil sie vor einem grünen Kap Afrikas liegen. Wir fahren durch eine mit Vegetation dicht bewachsene Berglandschaft, in der immer wieder Felsen stehen wie die Mauern einer Ruine. Besonders eindrücklich ist die Fahrt über die alte Verbindungsstraße durch die Inselmitte. 26 Jahre lang haben die Bewohner an ihrem Bau gearbeitet, um ihre Ernte über den 1460 Meter hohen Pass zum Hafen bringen zu können. 36 Kilometer lang, sieben Meter breit, alles Pflastersteine. Der Streifen schmiegt sich an Berghänge, klebt an Graten, lässt in erloschene Vulkankegel blicken.
Wandern auf Alltagswegen
An der nördlichen Küste dann treffen wir nicht etwa auf Strandkultur und Sonnenschirme, stattdessen auf jähe Klippen und ein mächtiges Meer. Die Insel erinnert hier an ein Gebirge, das ein Riese in den Ozean hat plumpsen lassen. Baden lässt es sich nur an sehr wenigen Orten, dafür umso besser wandern, allerdings nicht auf einem spezialisierten Wegenetz, sondern auf den Alltagswegen der Einheimischen. Angelegt, weil Menschen von Ort zu Ort mussten oder auf ihre Felder – mal mit, mal ohne Esel. Viele sind gepflastert. Dabei geht es eigentlich immer steil hoch oder steil hinunter. Wer ins Nachbartal wollte, musste eben über den Pass, so wie die Bewohner von Chã de Igreja nach Boca de Ambas as Ribeiras. Das heißt 700 Höhenmeter hoch und auf der anderen Seite 500 wieder runter. Und heute machen das wir, einfach so, zum Spaß. Wir kommen mit unseren Tagesrucksäcken ins Schwitzen, während Einheimische 50-Kilo-Säcke mit Maniok schultern. Also verkneifen wir uns das Stöhnen.
Während unten in der bewässerten Talsohle gedeiht, was auch andernorts auf der Welt zu Hause ist, also beispielsweise Bananen, Mangos, Brotfrucht, folgen auf den Terrassen weiter oben, die nicht künstlich bewässert werden und von Tau, Nebel und Regen abhängig sind, traditionelle Nutzpflanzen, die genügsamer sind: Maniok, Yams, Kürbis, Bohnen. Später wird es dann richtig endemisch mit Wandelröschen, der „Spaghettipflanze“ Sarcostemma, Wolfsmilch sowie Agaven und Sisal in Übergrößen. Was richtig bei uns haften bleibt, ist aber eine Klette, die sich so in die Wandersocken setzt, dass sie noch mit auf die Heimreise geht.
Nur zu Fuß erreichbar
Dass auf Santo Antão zu jedem Ort eine Straße führt, ist bis heute nicht selbstverständlich. Das kann erleben, wer auf einem alten Eselspfad die Küste entlang nach Ponta do Sol wandert, wo die Felsen als Klippen ins Wasser fallen und von oben im Meer schwimmende Schildkröten zu sehen sind. Der Küstenpfad war lange die einzige Verbindung aus den tiefen Erosionstälern der Nordküste zum Hafenort Ponta do Sol, am nördlichsten Kap der Kapverden. Und für manche ist er das bis heute.
Wir machen Halt bei Sónia Delgado, die in Forminguinhas ein kleines Restaurant betreibt. Lachend steht die 46-Jährige im Türrahmen, den sie zu einem beträchtlichen Teil füllt, auf ihrer Küchenschürze Eiffeltürme. Dieser Ort ist nur über den Eselspfad erreichbar. Für Sónias Kinder heißt das: drei Kilometer Fußweg zur Schule, einfach. Und auf dem Rückweg bringen sie die Getränke für die Gäste mit. Der Name des Ortes, in dem, nicht erstaunlich, nur noch ein Dutzend Menschen leben, heißt übersetzt „kleine Ameisen“. Einen passenderen Namen können wir uns kaum vorstellen für eine Gemeinde, deren Bewohner fleißig die Küste entlangwuseln und nicht müde werden, Dinge hin- und herzutragen.
ARCD-Reiseservice
- Anreise:
z. B. mit TAP von Frankfurt/Main nach São Vicente, Stopover in Lissabon. Weiter nach Santo Antão mit der Fähre ab Mindelo, eine Stunde.
- Beste Reisezeit:
Das ganze Jahr über herrschen auf den beiden tropischen Inseln Temperaturen von 22 bis 28 Grad, bei ähnlichen Wassertemperaturen. Die regenreichen Monate August bis Oktober, wenn auch die Luftfeuchtigkeit steigt, sollte man meiden. Nachts ist es nur rund fünf Grad kälter als tagsüber.
- Unterkunft:
São Vicente, Mindelo: Hotel Oasis Atlantico Porto Grande, zentral gelegen und ruhig, https://oasisatlantico.com;
Santo Antão, Chã de Igreja: Mamiwata Eco Village, Öko-Ressort mit einzeln gelegenen architektonischen Villen mit Meerblick an der Steilküste, traditionell mit Trockensteinmauern angelegt, www.mamiwata-ecovillage.com;
Santo Antão, Ponta do Sol: Música do Mar, www.musica-do-mar.com
- Reiseangebot:
Verschiedene Pauschalangebote bietet Reisen mit Sinnen, z. B. 7 Tage Inselhopping Nord, São Vicente und Santo Antão, mit Gitarrenwerkstatt, Eselspfadwanderungen, reisenmitsinnen.de.
Buchbar auch über das ARCD Reisebüro, Tel. 0 98 41 / 4 09 150 oder info@arcd-reisen.de
- Auskünfte: www.visit-caboverde.com/en
Titelfoto: Anja Martin