Kraft tanken im Pfaffenwinkel
Der Vielfalt an Kirchen und Klöstern verdankt der Pfaffenwinkel seinen Namen. Dazu punktet die oberbayerische Region mit besonderen Naturerlebnissen.
Emmi ist gut drauf heute. Die hellbraunen Fellohren stehen auf Empfang, die kugelrunden Augen leuchten, neugierig reckt sich uns die dunkelgrau-glänzende Nase entgegen. Ein paar Streicheleinheiten später ist das letzte Eis gebrochen: Mit einem sanften „Muuuh“ signalisiert Emmi ihre Lust zu einem Ausflug. Kuh-Trekking nennt Markus Holzmann sein ungewöhnliches Angebot. Über die weiten Wiesenhügel der oberbayerischen Voralpenlandschaft, die nahen Gipfel von Säuling, Aggenstein und Breitenberg immer im Blick, geht es mit tierischer Begleitung durch den Pfaffenwinkel.
Doch vor die Tour hat der Trekkingchef aus dem winzigen Weiler Steingädele die Vertrauensbildung mit Striegel und Bürste gesetzt. „Emmi kann von dieser Fellmassage gar nicht genug bekommen und vor allem jüngere Gäste bauen dabei letzte Ängste vor dem großen Tier ab“, weiß Holzmann. Jetzt noch das Spezialhalfter über den Kopf gezogen, den Führstrick eingeklickt und schon kann es losgehen. Die Gerte darf nicht fehlen. „Emmi gibt zwar das Tempo vor“, sagt Holzmann, „aber es kommt schon vor, dass die leckeren Halme am Weg zu verlockend sind und sie mal stehenbleibt. Dann genügt es, die Gerte nur leicht anzuheben, schon geht es weiter.“
Stressabbau beim Kuhflüsterer
Der 23-Jährige bezeichnet sich selbst als Kuhtrainer, dabei ist er im Dorf nur als „Kuhflüsterer“ bekannt. „Das habe ich der Bild-Zeitung zu verdanken, die mich mal so bezeichnet hat“, erzählt Holzmann schmunzelnd. So unangenehm scheint ihm der Titel nicht zu sein. Begonnen hat vor vier Jahren alles mit der Idee, Pferden die Angst vor Kühen zu nehmen. Der findige Oberbayer reiste quer durch die Republik, Emmi immer im Schlepptau. Nach und nach entwickelte sich der Kuh- auch zum Menschentrainer. „Die Begegnung mit meinen Tieren baut Stress ab und schüttet Wohlfühlhormone aus“, sagt Holzmann. Besonders beliebt ist das Kuh-Kuscheln: Im frischen Strohbett mit Emmi oder Ochs Hugo erleben Kinder und ihre Eltern, wie sich Rinder anfühlen, wie sie reagieren, wie es sich anhört, wenn sie wiederkäuen. Auch wenn Holzmann eine Marktlücke in Sachen Naturerlebnis entdeckt hat, zum Event auf Kosten seiner Tiere will er das Angebot nicht verkommen lassen. „Alle sollen Spaß haben, auch die Kühe“, betont er. Emmi hätte heute vielleicht sogar noch mehr Spaß. Aber der Biorhythmus geht am Ende der Tour vor. Also ab ins Stroh, das Müsli aus Heu und Kräuter hat sie sich redlich verdient.
Hier die Natur, dort die Kultur – diese Verbindung prägt den Pfaffenwinkel. Die Gegend zwischen Lech und Loisach, zwischen Starnberger See und Forggensee punktet weniger mit Superlativen und großem Trubel. Ihr Plus sind idyllische Dörfer und sanfte Landschaften, die sich kraft tankend zu Fuß oder auf abwechslungsreichen Radwegen erleben lassen. Nicht zu vergessen die unzähligen Kirchen, die der Region den Namen gegeben haben. Als „angulus monachorum“, als „Winkel der Mönche“ bezeichnete ein Geschichtsschreiber im 18. Jahrhundert die Gegend. Zwei prächtige Beispiele sakraler Architektur finden sich unweit von Emmis Kuschelstall. In Steingaden umfängt uns im gotischen Kreuzgang des Welfenmünsters ein Hauch von Mittelalter, wenige Kilometer weiter lässt die barocke Wucht der Wieskirche dem Betrachter kaum mehr Luft zum Atmen. Entzückende Putten, leuchtende Fresken und überschwängliche Gold-Dekors machen die weltberühmte Wallfahrtskirche „Zum Gegeißelten Heiland auf der Wies“ zum Paradebeispiel des Rokoko.
Im Moor und an den Flüssen
So ungestüm laut die Bildsprache der Wies unsere Konzentration fordert, so beruhigend leise lädt uns die nahe Moorlandschaft des Wiesfilz den Akku wieder auf. Nur ab und an unterbricht das auffällige „kvoih-kvih-kvih-kvih“ des Schwarzspechts das rhythmische Knarzen der Bohlen unter unseren Füßen. Der Brettleweg hinüber nach Steingaden führt durch ein einzigartiges eiszeitliches Biotop, dessen wabernde Feuchtwiesen und knorrige Kiefern fast ein wenig an das Moor Nindalf in Tolkiens Klassiker „Herr der Ringe“ erinnern.
Mehr Abwechslung und dazu noch einen sportlichen Kick verspricht der Schnalz-Panoramaweg. Vom Wanderparkplatz südlich von Peiting geht es erst tief hinunter zur wildromantischen Schlucht der Ammer. Viele Besucher haben sich auf den weiten Kiesbänken am Kalkofensteg mit kleinen Steinpyramiden verewigt. Die erholsame Pause am rauschenden Wildbach kommt gelegen, ehe die unzähligen Stufen hinauf Richtung Schnalz-Gipfel zum Konditionstest werden.
Während die Ammer wild daherkommt, durchquert der Lech den Pfaffenwinkel meist gezähmt. „Wild und steinreich“ war er, verrät der keltische Ursprung des Namens. Heute haben 32 Staustufen den Fluss zwischen Füssen und Augsburg gebändigt. Die Flößer vergangener Jahrhunderte dagegen sahen sich noch erheblichen Gefahren ausgesetzt. „Rund 1.000 Meter beträgt der Höhenunterschied zwischen Quelle und Mündung, oft genug mussten die Floße über Steilstufen abgeseilt werden“, erzählt Ursula Heitmeier. Während einer historischen Floßfahrt bei Schongau gewährt sie Einblicke in den Alltag von einst. „Vom Gips über Speck bis hin zu warmer Filzkleidung – transportiert wurde praktisch alles“, weiß die Führerin. Vier Tage dauerte die Fahrt von Füssen bis Augsburg, weitere zwei Wochen bis nach Wien.
Radtour voller Eindrücke
Nicht nur als wichtige Verkehrsader hat der Lech die Region geprägt, sein türkisgrünes Wasser stand auch Pate für die Farbe der malerischen Fensterläden im Pfaffenwinkel. An historischen Höfen sind sie nicht wegzudenken, aber auch viele Bauherren unserer Tage fühlen sich der Tradition verbunden. Wer den Pfaffenwinkel mit dem Rad erkundet, sammelt unzählige Eindrücke – in den Dörfern wie an den Ufern des Lechs. Eine abwechslungsreiche Tagestour führt vom mittelalterlichen Kleinod Schongau nach Süden bis Lechbruck und zurück. Tümpel, Weiher und Seen ducken sich in die Mulden der Hügellandschaft. Über Peiting und vorbei am verträumten Deutensee geht es nach Urspring. Bei Lechbruck queren wir den Fluss und radeln am Oberen Lechsee entlang Richtung Burggen zur Litzauer Schleife. Der einzige naturbelassene Abschnitt des Lechs lässt sich hier von einem Aussichtspunkt perfekt bewundern.
Noch mehr Aussicht gibt es nur am Hohen Peißenberg. Hier, wo auf 988 Metern Höhe die älteste Bergwetterstation der Welt seit 1781 Wind, Regen, Schnee und Sonnenschein registriert, liegt uns das oberbayerische Voralpenland zu Füßen. Bis zum Großvenediger reicht an klaren Tagen der Blick, mehr als 400 Orte sollen von hier zu sehen sein. Steingädele ist bestimmt dabei. Ob Emmi schon auf die nächste Trekkingtour wartet.
ARCD-Reiseservice
- Anreise:
Von München über die A 95 und die B 2 nach Weilheim, oder über die A 96 bis Landsberg und dann über die B 17 nach Schongau. - Kuhflüsterer:
Markus Holzmann beschreibt seine Angebote unter https://markus-kuhgefluester.jimdosite.com. - Floßfahrt:
Jeden Sonntag im Juli, August und September geht es mit einem nachgebauten Fernhandelsfloß über den fjordähnlichen Lechsee bei Schongau. Start ist um 14 und 16 Uhr am Bootshaus (Lechuferstraße 35). - Gastronomie:
Das Schongauer Bootshaus punktet beim Erlebnisfaktor wie bei der kulinarischen Qualität. Unter rot-weiß-gestreiften Zeltplanen baumeln orientalische Messinglampen, Loungemusik tönt aus den Lautsprechern, der Blick auf den Lechsee ist perfekt. So bunt wie die Deko kommt die Speisekarte daher, sie reicht von Schweinebraten bis Pasta Gamba. www.bootshaus-schongau.de - Auskünfte:
Tourismusverband Pfaffenwinkel, Tel. 0 88 61 / 21 13 200, www.pfaffen-winkel.de
Titelfoto: Stefan Gruber