Wanderreise auf Korfu:
Oliven, Orchideen und Odysseus’ Spuren
Korfu gilt als das Wanderparadies unter den griechischen Inseln. Wer die einsamen Bergpfade im Frühjahr in Angriff nimmt, wird belohnt mit einer einzigartigen Blumenpracht.
Versunken sitzt Dimitri vor seinem dunklen Mocca. Der Abstecher ins Café Varzas am malerischen Hauptplatz von Sokraki zählt Morgen für Morgen zu den festen Ritualen des 92-Jährigen. Unsere Unterhaltung am Nebentisch lässt ihn aufhorchen. „Deutsch? Deutsch?“, fragt er vorsichtig und will es dann genauer wissen: „Woher? Aus Bayern?“ Jetzt ist Dimitri nicht mehr zu halten. „München, Oktoberfest, Hofbräuhaus“ sprudelt es aus ihm heraus, ehe er beginnt, uns seine Geschichte als Gastarbeiter in der bayerischen Landeshauptstadt zu erzählen. Sogar die wüsten Flüche hat er nicht vergessen, mit denen ihn sein Bäckermeister bedacht hat, als er mal einen Teig verpfuscht hat. Eigentlich wollten wir in der kleinen Kneipe nur einen kurzen Stopp einlegen, doch Dimitri wirft unseren Zeitplan über den Haufen. Zwei Gläser Ingwer-Bier, das in Sokraki erfunden worden sein soll, und einige honigsüße Baklavas später schultern wir wieder unsere Rucksäcke. Ein Erinnerungsfoto mit Dimitri muss natürlich noch sein, dann geht es weiter auf einsamen Pfaden durch die sattgrünen Wälder Korfus.
Die zweitgrößte Ionische Insel gilt als Wanderparadies – nicht nur des legendären Corfu Trails wegen. Gerade im Frühjahr trumpft die vielfältige Vegetation mit Überraschungen auf, die sich sonst im Mittelmeerraum kaum finden. Unzählige wilde Orchideen säumen die Wege, pinkfarbene Gladiolen und blaue Schwertlilien setzen markante Leuchtpunkte, knorrige Oliven spenden unter ihrem silbrig-grünen Dach wohltuenden Schatten. Dazu wollen verschlafene Bergdörfer entdeckt werden.
Auf dem Corfu Trail
An Mythen und Sagen ist Griechenland nicht arm. Homer sei Dank hat davon auch Korfu seinen Teil abgekommen. In seiner Odyssee hieß Korfu noch Kerkyra – benannt nach einer Nymphe, die Meeresgott Poseidon auf die Insel gebracht hatte, um mit ihr… Na ja, bekanntermaßen haben die alten Schwerenöter vom Olymp ja selten etwas anbrennen lassen. Das aus der Verbindung entstehende Seefahrervolk der Phaiaken gewährte Homer zufolge Odysseus Zuflucht auf seiner Irrfahrt und brachte ihn schließlich zurück in seine Heimat Ithaka. Knapp 3.000 Jahre nach Homer fand dessen Geschichte bei einem Schriftstellerkollegen wenig Anklang. „Die Odyssee ist eine langweilige Geschichte, schlecht konstruiert und formlos“, schreibt Lawrence Durrell. Der Engländer lebte in den 1930er-Jahren auf Korfu und schrieb hier den Roman „Schwarze Oliven – Korfu: Insel der Phäaken“. In seiner Liebeserklärung an die Welt des östlichen Mittelmeers zeichnet er ein Bild aus kräftigsten und zartesten Farben vom Alltag und der Geschichte der Bevölkerung, von den Buchten, Wäldern und Olivenhainen. „Im tiefen Grün der Landschaft ist der Ölbaum König“, schreibt Lawrence Durrell. Er „bleibt sich selbst überlassen und nimmt daher seltsame Formen an“.
In der Tat: Immer wieder durchstreifen wir auf unseren Touren Olivenwälder, die so gar nicht dem bekannten Bild der Haine in Italien oder Spanien gleichen. Mächtige Bäume – vier Millionen soll es auf der Insel geben – wölben ihr dichtes Blätterdach über den oft felsdurchsetzten Boden, auf dem feinmaschige Netze ausgebreitet sind. An maschinelle Ernte ist nicht zu denken, die Korfioten warten stattdessen, bis die wertvolle Frucht reif vom Baum fällt.
Früher kamen für den Abtransport Maultiere zum Einsatz, auf deren Pfaden heute Wanderer die gebirgige Insel durchstreifen. Auf einer Länge von rund 200 Kilometern zieht sich der Corfu Trail seit gut 20 Jahren in zahllosen Windungen von Nord nach Süd (oder umgekehrt), gelbe Schilder mit dem schwarzen CT weisen den Weg. Wer die zehntägige Tour scheut, kann auch einzelne Etappen wählen und bequem ohne großes Gepäck einsame Buchten und tiefe Schluchten erobern. „Der Corfu Trail ist beliebt, aber nicht überlaufen“, erzählt Dimitris Rossis. Etwa 300 Wanderer beherbergt er in seinem Hotel in Messonghi jedes Jahr. „Die meisten kommen im April und Mai und lassen sich von der Blumenpracht faszinieren.“
Pflanzen und Panorama
Das gilt auch für uns. Der morgendliche Start unserer ersten Etappe vom Issos-Strand zurück nach Messonghi zieht sich hin, schließlich gilt unsere Aufmerksamkeit erst mal den Blüten am Wegesrand. Die weiten Dünen, die im Sommer von Surfern und Kitern bevölkert werden, sind jetzt im Frühjahr noch menschenleer. Platterbsen verstecken sich zwischen violetten Wicken, der blaue Natternkopf sorgt für Farbkleckse in der Sandlandschaft, die immer wieder von duftenden Wacholderwäldern und dem dominanten Ginster unterbrochen wird. Zahllose Schmetterlinge wie Schwalbenschwanz und Segelfalter flirren durch die warme Frühlingsluft. Wir wechseln vom Strand hinüber zum Korission-See, der einst von Venezianern als Lagune angelegt wurde. Das elf Quadratkilometer große Feuchtgebiet bietet heute 120 Vogelarten Platz zum Überwintern, vor gut 40 Jahren diente es als Kulisse für den James-Bond-Film „For Your Eyes Only“ (In tödlicher Mission).
Ihre bergige Seite offenbart die Insel kurz hinter der Taverne Nikolas: Zunächst zieht sich der Schotterweg sanft durch die Hänge, auf denen sich Gemüsefelder, Olivenhaine und bunte Wiesen abwechseln, dann geht es zunehmend steiler hinauf Richtung Chlomatiana. Das strahlend-weiße Panagia-Kirchlein zeichnet sich markant vom dunkelblauen Himmel ab, in der Stille des Friedhofs lassen wir den Blick über Korfu schweifen: Tiefgrüne Wälder überziehen die Bergkette, am nördlichen Horizont grüßt der Paradegipfel Pantokrator (917 Meter) herüber. Am Ostufer ist die quirlige Inselmetropole Korfu-Stadt mit ihrem Gassen-Labyrinth zu erkennen, am Ufer das Kloster Vlacherna und dahinter die Mäuseinsel, die an Odysseus erinnert. Poseidon soll ein Schiff der Phaiaken in Fels verwandelt haben, weil das Inselvolk dem Helden geholfen hat. Vom Festland gleißen noch die Schneefelder der albanischen Alpen herüber.
Den traumhaften Blick wusste auch Sisi zu schätzen. Auf einem Hügel bei Gastouri ließ die österreichische Kaiserin auf ihrer rastlosen Flucht vor den höfischen Zwängen in Wien eine prachtvolle Sommerresidenz entstehen, die derzeit allerdings renoviert wird und nicht besichtigt werden kann. Der weitläufige Park mit seinen schlanken Zypressen, mächtigen Palmen und unzähligen Statuen ist mittlerweile wieder geöffnet.
Durch den Geisterwald
Eine abwechslungsreiche Etappe des Corfu Trails führt uns über 16 Kilometer und knapp 800 Höhenmeter von Strongili nach Sinarades. Erst umfängt uns ein dunkler Forst aus Steineichen und Lorbeerbüschen, dann folgt ein mystischer Geisterwald. Wie lange Krakenarme winden sich die Äste uralter Oliven nach oben, ihre Wurzeln ranken sich über eiszeitliche Kalksteinformationen. Mit wachem Blick lassen sich um diese Jahreszeit immer wieder die Königinnen der Blumen entdecken: wilde Orchideen. Zum Beispiel der Zungenstendel und die Hufeisen-Ragwurz sind im Norden der Insel verbreitet. Über den Gipfel des Agio Deka erreichen wir ein kleines Kloster – und haben Glück: Heute ist es geöffnet, die Gemeinde feiert das Patrozinium. Wir werden herzlich begrüßt und zu Souvlaki und Wein eingeladen.
Ein herb-morbider Charme prägt etwas weiter unten das Dorf Agioi Deka. Die Landflucht ist sichtbar, nicht wenige Häuser verfallen zu Ruinen. Dazwischen zeugen frischer Putz und blank gewienerte Klingelschilder von neuem Leben in alten Mauern. „Wir restaurieren gerade das Haus, das ich von meiner Mutter geerbt habe“, erzählt ein Mann. Seinen Alltag verbringt er mittlerweile zwar in Großbritannien, für ein paar Wochen kehrt er im Sommer aber in seine Heimat zurück.
Der Kontrast zwischen Gestern und Morgen, zwischen Verfall und Neubeginn, zwischen Abschied und Hoffnung begegnet uns auch auf der Königsetappe, der Pantokrator-Überschreitung. In Meggoulas ist die Zeit stehengeblieben. Durch die gähnend leeren Fensteröffnungen pfeift der Wind, in den fingerdicken Mauerritzen hat sich frisches Grün angesiedelt. Viele Dächer des Ruinendorfs sind eingestürzt, die verrostete Presse der alten Ölmühle hat ihre besten Tage lange hinter sich.
Auf der nördlichen Seite der Pantokrator-Scharte zeigt sich in Alt-Perithia ein ganz anderes Bild: 1975 waren in dem abgelegenen Bergdorf die Lichter ausgegangen, die letzten Bewohner hatten die alte venezianische Siedlung, in der einst 1.500 Menschen lebten, verlassen. Seit einigen Jahren wird das Dorf reaktiviert. Fünf Tavernen empfangen mittlerweile Besucher aus den großen Touristen-Resorts an der Nord-küste, aus drei alten Häusern ist sogar ein 4-Sterne-Hotel erstanden. Im Merchant’s House können Gäste nun in stilvollen Suiten in außergewöhnlicher Umgebung übernachten. Dimitri hätte in Alt-Perithia sicher seine helle Freude. So viele Gäste aus Deutschland, denen er seine Geschichte erzählen könnte…
ARCD-Reiseservice
Anreise:
- Am einfachsten ist Korfu mit dem Flugzeug von Deutschland aus zu erreichen. Bereits ab April bietet Ryanair eine der schnellsten Verbindung (2:05 Stunden) vom Flughafen Memmingen aus an.
- Wer mit dem Auto anreist, kann Fährverbindungen von Italien (Venedig, Bari, Brindisi, Ancona) oder Griechenland (Igoumenitsa) nutzen.
Tipp: Bei den ARCD-Vorteilspartnern ANEK Lines und SUPERFAST Ferries erhalten Sie je 25 % Rabatt auf den Fahrzeugtarif. Infos: www.arcd.de/leistungen/arcd-vorteilsprogramm/
Lage:
- Korfu ist die zweitgrößte der Ionischen Inseln und die siebtgrößte Griechenlands.
- Sie liegt zwei Kilometer vor der albanischen Küste, das süditalienische Festland im Westen ist etwa 100 km entfernt.
- Das Klima ist etwas rauer als auf südlicheren griechischen Inseln. Ab Mai erreichen die Temperaturen im Schnitt etwas mehr als 20 Grad.
Corfu Trail:
- Auf einer Gesamtlänge von rund 200 km erleben Wanderer die komplexe Diversität der Insel.
- Der Corfu Trail (www.corfu-trail.com) ist weitgehend gut markiert und kann individuell sowie in organisierten Gruppenreisen begangen werden.
- Pauschalangebote gibt es zum Beispiel bei der Alpinschule Innsbruck (www.asi-reisen.de).
- Beratung und Buchung im ARCD Reisebüro, Tel. 0 98 41 / 4 09 150 oder info@arcd-reisen.de
Auskünfte:
- https://visit.corfu.gr (englisch) oder
- www.griechenland.de/korfu/
Titelfoto: Stefan Gruber