07.03.2024 Thomas Schreiner

Verkehrsgerichtstag 2024: Nachholbedarf bei Passagierrechten

Mit mindestens zwei unterschiedlichen Verkehrsmitteln ans Ziel zu kommen, gehört längst zum Alltag von Reisenden. Was bislang fehlt, sind übergreifende Bestimmungen, die bei sogenannten multimodalen Reisen die Rechte der Passagiere stärken. Der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar hat sich in diesem Jahr mit dieser Frage beschäftigt, und der ARCD war mit dabei.


Einzeln betrachtet sind sie gar nicht mal so schlecht, die Passagierrechte in der EU für alle, die mit dem Flugzeug, der Bahn, dem Bus oder Schiff unterwegs sind. So haben die Reisenden je nach Verordnung beispielsweise Anspruch auf anderweitige Beförderung, Erstattungen, Entschädigungen oder sonstige Unterstützung, wenn eine Reise unterbrochen wird – abhängig von den jeweiligen Umständen. Vielleicht mag es nicht jeder in seinem speziellen Fall so empfinden, doch die Rahmenbedingungen für Passagierrechte in der EU zählen zu den renommiertesten weltweit. Dennoch sieht die EU-Kommission noch erheblichen Nachbesserungsbedarf, insbesondere bei Reisen, deren Ziel durch die Benutzung verschiedener Verkehrsträger erreicht wird.

Beispiele dafür sind etwa die Anreise mit dem Zug zum Flug oder mit dem Zug zum Schiff. Diese Kombinationen werfen Fragen zu eventuellen Entschädigungsansprüchen auf, sollte unterwegs etwas nicht wie vorgesehen klappen. Es geht etwa darum festzustellen, wer sich für Passagiere verantwortlich zu fühlen hat, wenn es auf einer Teilstrecke zu Annullierungen oder Verspätungen kommt und der Anschluss auf einer weiteren Teilstrecke nicht mehr erreicht wird. Wenn also ein Glied in der sorgsam geschmiedeten Kette der genutzten Verkehrsmittel abreißt. In solchen Konstellationen auftretende Probleme sind bislang noch unzureichend gelöst. Die EU arbeitet daher daran, die Entschädigungsklärung bei multimodalen Reisen (siehe Kasten am Ende) verbraucherfreundlicher zu gestalten und insgesamt den Vergleich und das Buchen von Reisen über verschiedene Verkehrsträger hinweg zu erleichtern. Auch der deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar befasste sich in einem Arbeitskreis mit diesem aktuellen Thema auf EU-Ebene.
 

Für einzelne Verkehrsmittel wie etwa das Flugzeug sind die Passagierrechte individuell geregelt. Undurchsichtig sind die Zuständigkeiten bislang dann, wenn auf einer Reise mehrere Verkehrsträger ineinandergreifen. Foto: stock.adobe.com/© Steffen Eichner

Klimaschutz bei Fernreisen im Blick

Die Erfahrungen während der Corona-Pandemie mit massiven Ausfällen und Stornierungen haben gezeigt, wie wichtig starke Verbraucherrechte bei Reisen sind. Zusätzlich will die EU dabei unterstützen, dass auch Fernreisen klimaschonender durchgeführt werden können. Dazu zählt etwa das Ziel, ein transeuropäisches Netz aufzubauen, in dem große Flughäfen besser an Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge angeschlossen sind. So wie es etwa am Flughafen Frankfurt/Main der Fall ist. Statt mit dem Auto gelangen Flugreisende so bequem mit der Bahn zum Airport. Eine multimodale Verknüpfung, die zumindest ein wenig die Klimabilanz von Fernreisen mit Flugzeug aufbessern kann.

Das Problem der Passagierrechteverordnungen für die einzelnen Verkehrsmittel sei, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten entstanden seien und daher nicht ineinandergreifen würden, erklärt ARCD-Rechtsexperte Christian Aldebert. Der Anwalt aus Nürnberg war für den ARCD in Goslar und sagt: „Die EU-Kommission will deshalb neben den bestehenden Verordnungen eine Verordnung schaffen, die sich mit diesen multimodalen Reisen beschäftigt und den Verbrauchern Rechte zuspricht, die bisher einfach nicht da sind.“ Das sei sinnvoll und nötig
 

Wenn auf Reisen die Anschlüsse zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln wegen Verspätungen oder Annullierungen nicht passen, ist der Frust groß. Verbesserungen der Passagierrechte sollen wenigstens für ein dickeres Trostpflaster sorgen. Foto: stock.adobe.com/© terovesalainen

Klare Rechte und klare Information

Einen großen Unterschied zwischen den bestehenden Einzelverordnungen sieht Aldebert bei Entschädigungszahlungen. Während die Fluggastrechte hier ansehnliche Pauschalen vorsehen, existierten solche Pauschalen bei anderen Verkehrsmitteln in vergleichbarer Höhe nicht. „Bei der Bahn gibt es schon auch eine Entschädigung, die ist aber gekoppelt an den Fahrpreis und deutlich niedriger als im Flugbereich“, sagt Aldebert. Mehrheitlich habe sich der Verkehrsgerichtstag für Entschädigungen ausgesprochen, wenn jemand aufgrund eines verpassten Anschlusses die Reise abbricht. Eine knappe Mehrheit sei auch für Entschädigungen gewesen, falls jemand seine Reise dennoch fortsetzt und mit erheblicher Verspätung am Ziel eintrifft. „Aber man war sich einig, dass das, was in der Fluggastrechteverordnung zugesprochen wird, zu viel ist. Dass es sinnvoller wäre, dies prozentual an den Reisepreis zu koppeln“, sagt Aldebert. An anderer Stelle habe man jedoch nahezu einstimmig die Fluggastrechte als Muster gutgeheißen, und zwar beim Haftungsausschluss. „Das heißt, dass bei außergewöhnlichen Umständen, für die das Unternehmen nichts kann, entsprechende Entschädigungsleistungen auch nicht zu zahlen sind.“ Unwetter sind dafür ein Beispiel.

Ein Schwerpunkt in Goslar sei noch gewesen, dass die Reisenden hinreichend informiert werden müssten, welche Rechte sie hätten, ergänzt Aldebert: „Was gilt für mich überhaupt? An wen kann ich mich wenden? Und welche Ansprüche habe ich?“ Dies sei angesichts der Vielzahl von Einzelregelungen vor allem bei multimodalen Reisen für die Verbraucher kaum zu überblicken. „Generell die Regelungen für die Passagierrechte zu vereinheitlichen wäre sehr wünschenswert“, zieht Rechtsanwalt Aldebert sein Fazit des Verkehrsgerichtstags. Umgesetzt werden muss dies jedoch auf EU-Ebene: „Dann ist es auch in ganz Europa einheitlich, der Verkehr endet ja nicht an der Landesgrenze.“
 

Multimodale Reisen

Sie heißen zum Beispiel „Rail & Fly“, „Rail & Cruise“ oder „Fly & Cruise“ und sind immer häufiger fester Bestandteil der Angebote von Reiseveranstaltern. Unter diesen Konzepten ist zu verstehen, dass verschiedene Verkehrsmittel genutzt werden, um das Ziel einer Reise zu erreichen. Beliebte Konstellationen sind etwa mit dem Zug zum Flughafen oder dem Zug zum Kreuzfahrtterminal zu gelangen. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von multimodalen Reisemodellen. Werden die Verkehrsmittel direkt nacheinander benutzt, so wie die Glieder einer Kette aneinander aufgereiht sind, sprechen Fachleute streng genommen von Intermodalität, einer Unterform des multimodalen Verkehrs. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich jedoch der Begriff des multimodalen Reisens etabliert.

Titelfoto: stock.adobe.com/© Markus Mainka