Bahnübergänge: Risiko Mensch
Im Jahr 2017 krachte es 180 Mal an deutschen Bahnübergängen. In über 90 Prozent der Fälle waren Leichtsinn, Unachtsamkeit und Unwissenheit die Hauptursachen für schwere Unfälle zwischen Auto und Bahn.
Dorsten (NRW), 15. November, „Tödlicher Unfall: Zug erfasst Auto auf Bahnübergang“; Unfallursache: Unachtsamkeit – Schimborn (Bayern), 10. November, „Kollision an unbeschranktem Bahnübergang: Zug kracht in Auto“; Unfallursache: Unachtsamkeit – Dürnstein (Österreich), 29. Oktober, „Schreckliches Auto-Drama: Mann will vor Zug über Bahnübergang – Lebensgefährtin stirbt“; Unfallursache: Leichtsinn. Drei Meldungen über schwere Unfälle an Bahnübergängen, und doch nur ein Auszug aus der Nachrichtenlandschaft Ende 2018. In der deutschen Gesamtunfallstatistik des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2017 (2.643.098 Unfälle) nehmen 180 Unfälle mit Personenschaden an Bahnübergängen mit 0,007 Prozent zwar nur einen sehr geringen Anteil ein, absolut betrachtet zieht mit 26 Toten, 64 Schwer- und 216 Leichtverletzten aber nahezu jeder Unfall einen bedeutenden Personen- und Sachschaden nach sich.
Auch wenn von den 23.505 Bahnübergängen (letzte Bestandsaufnahme 2015) im deutschen Streckennetz kontinuierlich pro Jahr einige Hundert dicht gemacht werden und sich proportional dazu auch die Unfallzahlen verringern, ändert das an der Unfallursache Nummer eins wenig: dem menschlichen Fehlverhalten. So überwiegen mit über 90 Prozent der Verstöße Leichtsinn, Unachtsamkeit und Unwissenheit weit vor technischen Mängeln. Während 56 Prozent der Bahnübergänge gesichert sind, verbleiben 44 Prozent ungesichert. Dennoch ereignet sich die Mehrzahl der 180 Unfälle an Übergängen mit Halbschranken (8558 Stück).
Autofahrer missachten dabei Blinklichter und nutzen die Fluchtwege der Halbschranken, um sie im Slalom zu durchfahren. Studien des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ergaben, dass eine falsche Risikowahrnehmung der Autofahrer für diese Verstöße verantwortlich sein könnte.
Subjektives Empfinden
So würde das Herannahen eines Zuges als sehr seltenes Ereignis eingeschätzt und die von ihm ausgehende Gefahr als gering beurteilt. Auch der subjektiv empfundene Zeitverlust vor den geschlossenen Bahnschranken oder den Blinklichtern trägt dazu bei. Während Züge an ungesicherten Bahnübergängen nur mit maximal 80 km/h unterwegs sind, betragen die Geschwindigkeiten an gesicherten Bahnübergängen leicht bis zu 160 km/h. Kommt es bei diesem Tempo zu Kollisionen zwischen Bahn und Auto, sind die Folgen desaströs. Selbst wenn der Lokführer noch eine Vollbremsung einleiten kann, kommt ein Personenzug mit einem Gewicht von rund 1000 Tonnen bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h erst nach 1000 Metern zum Stehen. Nur wenige Bahnübergänge werden von Radar- und Infrarot-Sensoren überwacht und warnen den Lokführer automatisch vor einem Objekt auf den Schienen. Bremsmanöver auf Sicht können Unfälle meist nicht mehr verhindern.
Wenig Alternativen
Zwei Alternativen kämen für die Halbschranke in Betracht: Die Aufrüstung zur Vollschranke, bei der auf beiden Seiten die Fahrspuren geschlossen werden, oder der Ersatz des Bahnübergangs durch eine Unter- oder Überführung. Doch beides ist in der Praxis nicht immer umsetzbar, sei es durch bauartbedingten Platzbedarf oder hohe Kosten. Ob ein Bahnübergang verändert werden kann, muss gemeinschaftlich von Bahn, Straßenbaulastträger und Bund beschlossen werden, die auch zu gleichen Teilen die Kosten tragen. Und die sind nicht niedrig: Laut einer Sprecherin der Deutschen Bahn kostet eine unfallträchtige Halbschranke 600000 Euro, nur 100000 Euro mehr die Vollschranke. Übrigens sind im Fernverkehr, etwa auf Schnellfahrstrecken des ICE, Bahnübergänge gesetzlich untersagt. Auf der Suche nach Lösungen lohnt ein Blick nach Österreich. Dort warnen reflektierende Andreaskreuze, zusätzliche Bodenmarkierungen zur visuellen Einengung der Fahrbahn und LED-Leuchtpunkte auf dem Asphalt. Und weil es in Deutschland bislang keine einheitliche gesetzliche Regelung zur Geschwindigkeitsbegrenzung an Bahnübergängen gibt, fordern die Forscher des DLR digitale Tempoanzeigen oder Verkehrsschilder zur Sensibilisierung für die Geschwindigkeit. Auch deutliche Hinweise in Navigationsgeräten sollen künftig Autofahrer aufmerksamer werden lassen.
Hohe Bußgelder
Und wenn nichts mehr hilft, dann vielleicht der Griff in die Brieftasche. So kostet das Missachten eines Blinklichts 240 Euro, zwei Punkte in Flensburg und einen Monat Fahrverbot. Die Slalomfahrt durch geschlossene Halbschranken 700 Euro Bußgeld, zwei Punkte und drei Monate Fahrverbot. Im Falle eines Unfalls kann es sogar das Leben kosten. In der Regel dauert es zwischen 90 Sekunden und vier Minuten bis der Zug vorbei ist. Genug Zeit, um über die Prioritäten nachzudenken.