01.05.2024 Claudia Diemar

Apulien verzaubert mit kulturellem Reichtum und malerischen Orten

Italien hat bekanntlich die Form eines Stiefels. An dessen Absatz, tief im Süden des Landes, liegt Apulien – eine landwirtschaftlich geprägte Region, die reich ist an bedeutender Geschichte und reizvoller Architektur.


In Apulien spürt man am stärksten die Nähe des Orients. Hier verläuft fast sichtbar die Grenze zwischen Abend- und Morgenland“, notierte der Journalist und Schriftsteller Guido Piovene, der in den 1950er-Jahren in seiner gleichnamigen Radioserie die Hörer mit auf eine „Reise durch Italien“ nahm. Zwischen Orient und Okzident liegt das Meer als historisch bedeutendster Verkehrsweg. Die beiden großen Hafenstädte Bari und Brindisi spielen daher seit jeher eine wichtige Rolle für die im Laufe der Geschichte immer wieder umkämpfte Region. Griechen, Römer, Araber, Normannen und Staufer hinterließen hier ihre Spuren. Heute sind die Zeiten friedlicher in Puglia, wie Apulien auf Italienisch genannt wird. Um die Seestädte werden keine Schlachten mehr ausgefochten. Aber Schiffe legen hier noch immer ab, etwa die Fähren nach Griechenland.

In Bari, der Hauptstadt Apuliens mit rund 320.000 Einwohnern, findet sich in der Basilika San Nicola die Grabstätte des Heiligen Nikolaus. Im 4. Jahrhundert soll er als Bischof von Myra, dem heutigen Demre in der Türkei, Kindern und Notleidenden beigestanden und sie beschenkt haben. Der Reliquienkult des Christentums führte dazu, dass seine Gebeine im Jahr 1087 an seinem Wirkungsort geraubt und über das Meer nach Bari gebracht wurden. Bari bescherte dieser Beutezug einen Pilgeransturm über Jahrhunderte. Noch heute strömen die Touristen in die Basilika mit ihrer prunkvollen Kassettendecke. In der Krypta, wo die sterblichen Überreste des Heiligen bestattet sind, wandeln die Besucher in einem Wald aus mehr als zwei Dutzend filigranen Säulen mit reich geschmückten Kapitellen. So viel Schönheit kann selbst die nahe gelegene Kathedrale San Sabino nicht überbieten.

Bodenständige Küche

Beide Kirchen liegen in der kompakten Altstadt, in deren autofreien Gassen es beschaulich zugeht. Vor den Häusern sitzen Frauen, die mit unglaublicher Geschwindigkeit selbst hergestellten Pastateig in Scheibchen schneiden und anschließend mit einem Kniff der Finger zu sogenannten „Orecchiette“ drehen. Jedes dieser „Öhrchen“ wird also liebevoll in Handarbeit geformt. Orecchiette sind die beliebtesten Nudeln der Region und saugen am besten die gehaltvollen Saucen auf.

Überhaupt ist die Küche Apuliens grandios. Sie dreht sich nicht um Luxusprodukte, sondern um einfache, authentische Genüsse: Gemüse und Obst, Fisch und Meeresfrüchte, Tiere von Weide und Stall. Der Weizen aus Tavoliere bildete die Grundlage von Brot, Focaccia und den Panzerotti, frittierten Teigtaschen, die mit Tomaten und Mozzarella gefüllt sind. Vor allem die Antipasti, also Vorspeisen, werden in üppiger Vielfalt auf großen Tellern serviert. Verschiedene gegrillte Gemüse, Käsesorten und die säuerlich eingelegten, kleinen Zwiebeln ähnlichen „Lampascioni“ bilden ein buntes Stillleben.

„Sechzig Millionen Olivenbäume gibt es in Apulien“, so Reiseleiterin Julia Rempel, „manche davon uralte knorrige Riesen.“ Nur ganz im Süden der Region, im Salento, stehen abgestorbene Bäume dürr und grau in der Landschaft. Sie sind befallen von einem Bakterium namens Xylella fastidiosa, das mit importierten Kaffeepflanzen von Mittelamerika nach Europa kam. Weiter nördlich aber sind die Olivenkulturen gesund. Wie gut das aus ihnen gewonnene Produkt schmeckt, zeigt sich in der „Oleificio Cooperativo“ am Ortseingang von Ostuni. Marketing-Leiter Pietro Bernardi erklärt bei der Verkostung: „Jedes Öl hat seine ganz eigene Note. Wichtig ist nur, dass die Früchte gleich nach der Ernte schonend gepresst werden.“
 

Dorf-Schönheiten

Unweit der Kooperative türmt sich hügelan Ostuni auf, die „weiße Dame Apuliens“. Wie mit Zuckerguss überzogen wirken die grellweiß gekalkten Gassen. „Ostuni ist die malerischste Stadt schlechthin“, befand der Journalist Ettore della Giovanna schon 1941. Das ließe sich auch vom nicht weit entfernten Cisternino sagen, ebenfalls eine echte apulische Schönheit und wie fast alle Orte auf einer Anhöhe thronend. Vom Belvedere aus ergibt sich ein herrlicher Blick über das Itria-Tal mit seinen Feldern, Gärten und silbrig schimmernden Olivenhainen bis zum Meer. Das rund 1.000 Jahre alte Cisternino gehört zu Recht ganz offiziell zu den schönsten Orten Italiens. Während des Spaziergangs vorbei an fast maurisch anmutenden Häusern mit steilen Außentreppen über verwinkelten blumengeschmückten Höfchen beginnt die Nase gegen Abend unwillkürlich Witterung aufzunehmen. Ein verführerischer Duft nach Gegrilltem zieht durch die Gassen. Cisternino ist so etwas wie die Hauptstadt der fleischlichen Genüsse Apuliens. Rund um die Piazza Vittorio Emanuele mit dem grazilen Uhrturm finden sich zig Metzgereien, die ihre Spezialitäten gleich vor Ort in bodenständigen Wirtsstuben zubereiten. Als Vorspeise kommen Schinken und luftgetrocknete Lende zu Landbrot und Rotwein auf den Tisch. Deftig geht es weiter: Steaks und verschiedene Würste sind im Angebot, vor allem aber „Bombette“. Es handelt sich dabei um kleine Rouladen aus Schweinenacken, die in Variationen auf den Teller finden: mal pur, mal mit Käse oder mit verschiedenen Kräutern gefüllt. Köstlich sind sie alle.
 

Ostuni mit seinen malerischen Gassen und weiß gekalkten Häusern gehört zu den schönsten Städtchen Apuliens. Foto: Claudia Diemar
Die direkt am Meer gelegene Kathedrale gibt dem Ort Trani sein besonderes Gesicht. Foto: Claudia Diemar

Trubel um die Trulli

Das Cisterino umgebende Valle d’Itria ist auch die Heimat der „Trulli“, jenen in Trockenbauweise aus Kalksteinen aufgeschichteten Häusern mit kegeligen Dächern, die im Sommer wunderbar kühl bleiben. Angeblich sollen die Einheimischen aus purer Not zu dieser ebenso anmutigen wie aufwendigen Bauform gefunden haben: Weil fest gebaute Anwesen einst mit einer hohen Steuer belegt wurden, die Besitzer einen Trullo aus den locker gefügten Steinen aber jederzeit abbauen konnten, ergab sich so die Möglichkeit, den Abgaben zu entgehen.

Die größte Ansammlung von Trulli findet sich in der Umgebung von Alberobello und vor allem im Ort selbst. So putzig sind diese wie Wohnstätten für Märchenfiguren wirkenden Rundbauten, dass sie Besucher aus aller Welt in Scharen anziehen. Zum Glück führt Reiseleiterin Julia zunächst in das etwas ruhigere Trulli-Viertel Aia Piccola. Hier gibt es keine Shops und Restaurants, aber allerlei urige Trulli-Ferienwohnungen. Von einem Aussichtspunkt blicken wir hinunter auf Alberobellos Hauptplatz Largo Martelotta und das dahinter ansteigende größere Trulli-Viertel Rione Monti, in dem sich Besuchermassen an Läden und Kneipen vorbeischieben. Unser Fazit: Alberobello ist wunderschön, wer aber dem Rummel entkommen will, sollte entweder frühmorgens durch die Gassen streifen oder erst gegen Abend kommen, sich in einem der Trulli einmieten und den Märchenort erkunden, wenn die Flotte der Ausflugsbusse wieder abgefahren ist.

Apulien verfügt über insgesamt rund 800 Kilometer Küste. Weil es am Absatz des Stiefels liegt, wird es sowohl vom Adriatischen als auch vom Ionischen Meer umspült und bietet neben Sandstränden auch Kieselbuchten und Felsen. So ist für jeden Geschmack etwas dabei. Neben den beiden großen Hafenstädten Bari und Brindisi sowie der aus goldfarbenem Sandstein gefügten Barockstadt Lecce sind auch die kleineren Küstenstädte einen Besuch wert. Monopoli entzückt mit schönem Stadtstrand, bunten Fischerbooten, die im Hafen schaukeln, und Brötchen mit gegrilltem Tintenfisch als apulischem Streetfood. In Polignano balancieren die Häuser regelrecht an einer Felskante und die vielen Eisdielen überbieten sich mit ausgefallenen Kreationen. Und Trani prunkt mit seiner vom Wasser umspülten Meereskathedrale, die eigentlich aus vier ineinander verschachtelten Kirchenräumen besteht. Sie liegt nur einen Steinwurf vom mächtigen Castello Svevo entfernt, wo Stauferkönig Friedrich II. seine glücklichsten Jahre verlebte.
 

Mysteriöses Vermächtnis

„Der große Schwabe“ wird der 1194 in Ancona geborene Friedrich II. in Apulien genannt. Der Stauferkönig sprach neben Deutsch fließend Arabisch, Französisch, Griechisch und Latein. Er gilt als der wohl geistreichste und aufgeschlossenste Herrscher des Mittelalters. Der in Rom zum Kaiser gekrönte Freigeist umgab sich mit arabischen Gelehrten und wurde vom Papst wegen seines mangelnden Engagements in Glaubenskriegen zum Ketzer erklärt. Endlich doch zu einem Kreuzzug überredet, einigte er sich mit den „Ungläubigen“ friedlich auf dem Verhandlungsweg über den Zugang zum Heiligen Grab in Jerusalem.

Friedrich der II. war es auch, der neben etlichen Burgen und Kirchen das erstaunlichste Bauwerk Apuliens errichten ließ. Die Fertigstellung des achteckigen Castel del Monte hat er jedoch nicht mehr erlebt. In perfekter Symmetrie thront der goldgelbe Bau auf einer bewaldeten Anhöhe mit weitem Blick in die Landschaft. Als Festung war der Bau jedenfalls nicht geeignet und wurde auch nie umkämpft. Wofür diese als Weltkulturerbe geadelte „Krone Apuliens“ gedacht sein sollte, ist bis heute rätselhaft. Reiseleiterin Julia hat dazu eine sympathische Interpretation: „Castel del Monte könnte als eine Art mittelalterliches Kongresszentrum oder Sommeruniversität zwecks interkulturellem Wissenschaftsaustausch gebaut worden sein. Denn Bildung bedeutet Freiheit.“ Die Krone Apuliens wird ihr Geheimnis weiter hüten.
 

Das Castel del Monte entstand unter Stauferkönig Friedrich II. Noch heute wird über die Bestimmung des achteckigen Bauwerks gerätselt. Foto: Claudia Diemar
Vom Castel del Monte bietet sich ein weiter Blick in die Landschaft Apuliens. Foto: Claudia Diemar

ARCD-Reiseservice

  • Anreise:

    Vom Rhein-Main-Gebiet sind es nach Apulien rund 1.600 km über Basel, den Gotthard-Tunnel, Mailand und Ancona.
    Mit dem Flugzeug entweder nach Bari, z. B. mit Eurowings von vielen deutschen Städten (meist über Düsseldorf) ab ca. 140 €, oder nach Brindisi, z. B. mit Swiss ab ca. 200 € über Zürich (Preisangaben für Hin- und Rückflug).
    Mietwagen ab ca. 30 € pro Tag.

  • Beste Reisezeit:

    Frühjahr und Herbst

  • Reiseführer:

    „Apulien“ von Andreas Haller, fundierter umfangreicher Reiseführer mit Faltkarte, Michael Müller Verlag, ISBN 978-3-95654-918-2, 23,90 €

  • Übernachten:

    Masseria Caselli bei Brindisi, schickes Landhotel mit Pool und Golfplatz, DZ ab ca. 150 €, www.masseriacaselli.com/en;
    Palazzo Filisio in Trani, komfortables Hotel am Meer in Trani, DZ ab ca. 110 €, www.palazzofilisio.it/en;
    charmante Trulli in Alberobello ab ca. 130 €/2 Pers., www.trullidea.it/en;
    schöne ländliche Quartiere in ganz Apulien ab ca. 80 €/2 Pers. unter www.agriturismo.it/de/bauernhof/apulien

  • ARCD-Buchungsservice:

    Das ARCD Reisebüro unterstützt Sie gern bei der Buchung von Flügen, Mietwagen und Unterkünften. Auch Pauschalreisen, z. B. mit Studiosus, Gebeco oder DERTOUR, sind im Angebot. Kontakt: Tel. 09841/409150 oder info@arcd-reisen.de

  • Auskünfte:

    www.italia.it/en/puglia und
    www.viaggiareinpuglia.it/de (z. T. auf Deutsch)

Titelfoto: Claudia Diemar


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